Am Donnerstagabend – die Neudrossenfelder Europatage (ausführliche Berichterstattung folgt) hatten gerade begonnen – verstarb in Kulmbach nach kurzer, schwerer Krankheit unser langjähriges Kollegiumsmitglied Horst Wunner. Noch am Vormittag hatte sich der 83jährige für die Europatage, die er immer so geschätzt hatte, noch bei Bürgermeister Harald Hübner und mir als Leiter der Chefredaktion abgemeldet, ein Krankenbesuch während der Tage am Rotmain war geplant. Am nächsten morgen erhielten wir dann aber bereits die traurige Nachricht.

Über zehn Jahre war Horst ein verlässlicher, auch im hohen Alter stets interessierter und sehr aktiver Mitarbeiter unseres EUROjournals gewesen. Noch im März berichtete er zum Beispiel von der Freizeitmesse in Nürnberg oder den Paneuropa-Tagen in Andechs, wie so oft zuvor in den letzten Jahren. Wir werden Horst Wunner stets ehrendes Andenken bewahren und trauern mit seinen Angehörigen und den zahlreichen Freundinnen und Freunden, die Horst im Laufe der Jahrzehnte – nicht nur in Oberfranken, sondern in ganz Europa – gefunden hatte.

Lassen wir aber Horst Wunner selbst einen letzten Abschiedsgruß geben. Ein letzter Reisebericht von ihm war noch in der so genannten „Pipeline“. Es erscheint uns ein würdiger Anlass zu sein, diesen Beitrag über seine letzte größere Reise nach Süditalien an dieser Stelle zu veröffentlichen. Es ist ein Bericht, wie er typisch war für unseren Senior im Redaktionskollegium: einfühlsam, stets alle Eindrücke wie ein Schwamm voller Offenheit aufnehmend, immer mit großem Interesse an den Menschen, denen er im Laufe seiner langen „Zweitkarriere“ als Journalist – nicht nur für das EUROjournal, sondern auch für viele Heimatmedien Oberfrankens – begegnete und die ihm begegnen durften.

Prof. Dr. Wolfgang Otto für Redaktion und Kollegium des EUROjournals

Sizilianische Impressionen aus Catania – aufgezeichnet von Horst Wunner (+) im Dezember 2022

Rund um den Ätna mit der Schmalspurbahn

Diese Fahrt ist unbedingt zu empfehlen, es ist ein vierstündiger Trip der Gegensätze. Von der quirrligen Metropole am Meer hinauf auf knapp 1000 Meter in eine Landschaft, die schließlich in bleierne Schwere des Tuffgesteins übergeht. Bis dahin auf dem Weg nach oben immer wieder für Dezember erstaunliches sattes Grün, einzelne Blumenwiesen, Unmengen von blühenden Sträuchern der Kaktusfeige, die man hier Fichi d’India nennt. Vorbei an terrassierten Weingärten, Mandel- und Pistazienbäumen, letztere dürfen nur alle zwei Jahre geerntet werden. Jetzt aber recken sie ihre kahlen Äste wie Spinnenbeine in die Gegend, auch so ein ungewohnter Kontrast.

Faszinierend die grandiosen und ständig wechselnden Ausblicke, begünstigt durch den serpentinenartig verlaufenden Schienenstrang. Die Grundtöne draußen ändern sich nach jeder Steigung, bis schließlich tiefschwarze Lava das Bild bestimmt. Und malerischer könnte es kaum sein, wenn man aus den verschiedenen Blickwinkeln zum schneebedeckten Kegel des Ätna (3357 Meter hoch) schaut, über den ständig eine leichte Rauchfahne weht. Und das Schöne an der Zugfahrt: Man fühlt sich nicht wie ein Tourist. Einheimische steigen ein und aus, Schulkinder, Handwerker und Leute, die in Catania ihre Weihnachtseinkäufe erledigt haben. Im gleichen Waggon sitzt ein Sizilianer, in Offenbach am Main als Hausmeister tätig und nun auf dem Weg von Deutschland nach Hause, nahe dem Städtchen Randazzo. Seine Augen leuchten, es sprudelt aus ihm nur so heraus, er ist für uns ein Lexikon über diese Region.

Wir genießen die Reise bei offenen Fenstern, es ist noch angenehm warm, die Luft vibriert in klaren Schwingungen. Der Start war in Catania am Bahnhof „Borgo“ und endet nach 113 Kilometern in Giarre-Riposto, gar nicht mehr so weit entfernt vom weltbekannten Taormina. Das Unterwegssein ist auch ein Stück Entschleunigung, weil der Triebwagen Zeit hat, oft nur mit 20 bis 30 Stundenkilometern oder im Schritttempo unterwegs ist. Dort, wo eine kleine Straße oder ein Weg unbeschrankt ist, stoppt er ganz. Und das geschieht auf der Höhe nahe vereinzelter, einsamer Gehöfte häufig.

Der Ätna vom historischen Zentrum von Catana gesehen… (Foto: Horst Wunner)

Je tiefer es nach dem Scheitelpunkt Randazzo geht, desto mehr Grün, man genießt jetzt das Zigtausendfache intensive Gelb und Rot der Zitronen- und Orangengärten, durch die die „ferrovia circumetnea“ in vielen Windungen gleitet. Von dem Farbenspiel hat schon Goethe geschwärmt. Das letzte Stück nach Catania bringt uns der Regionalzug, es war ein traumhafter Nachmittag. Für gerade mal 10,90 Euro von Catania Borgo bis Giarre-Riposto. Auch das ein absoluter Pluspunkt.     

Die Geburtstagsfeier

Sizilianische Lebensart hautnah erleben, sich unters Volk mischen dürfen, in Catania kein Problem. Denn die Offenheit der Südländer ist sprichwörtlich. Ich bin gerade gegen 17 Uhr am Flughafen „Fontana rossa“ gelandet, fahre mit dem Bus in die Altstadt und finde nach zwei Stunden eher zufällig das Ristorante „Teatro Dei Sapori“. Für Italiener eine zu frühe Zeit zum Abendessen, daher sitze ich ganz allein in der Taverne, habe Zeit zum Beobachten. Es kommen ein paar Gäste, essen Pizza, danach Cozze und Polpo. Es bleibt ungewöhnlich still. Auffällig eine langgedeckte Tafel vor mir, die sich langsam füllt.

Mit jungen Leuten, die den Lärmpegel anschwellen lassen und vor Lebenslust fast explodieren. Und einen jungen Mann immer wieder umarmen, der im Mittelpunkt steht. Den Grund erfahre ich schnell: Fabiano feiert heute seinen 16. Geburtstag, ich gratuliere spontan und schenke ihm ein Mitbringsel aus Deutschland. Durch diese Geste gehöre ich plötzlich dazu, werde aufgefordert bei ihnen Platz zu nehmen und Gast zu sein. So nach und nach kommen die Gratulanten, von der sechsjährigen Schwester und den Eltern bis zur Nonna, die über 80 Jahre zählt. Mittlerweile ein Stimmengewirr wie auf einem Jahrmarkt, die Umarmungen und Küsse wollen kein Ende nehmen.        

Fabiano hat den Deutschen spontan zu seinem 16. Geburtstag eingeladen (Foto: Horst Wunner).                                                   

Es beginnt ein Festessen, wie bei uns vielleicht auf einer großen Hochzeit, 24 Verwandte und Freunde sitzen nun rund um das Geburtstagskind, ich kann die Gänge kaum mehr zählen. Vier Kellner bedienen, jede Speisenfolge wird rhythmisch beklatscht. Der Nachschub scheint unendlich, ich bin längst satt, die anderen lassen es sich weiter schmecken, die Leichtigkeit des „Dolce far niente“ und Genießens hat sich ausgebreitet wie ein großes Tuch. Gegen Mitternacht muss Fabiano die Geburtstagstorte mit 16 brennenden Kerzen anschneiden, Prosecco macht die Runde, die Toasts wollen kein Ende nehmen. Der Oberfranke weiß nicht wie ihm geschieht, er muss sich mit Fabiano und den Onkeln und Tanten, den Nichten und Neffen fürs Familienalbum ablichten lassen. Und spürt diese großartige Gastfreundschaft, die von Herzen kommt, ein schöneres Willkommen in der leicht morbiden Stadt am Ätna hätte es nicht geben können. Ich fahre nach Mitternacht per Taxi zum Hotel, sie winken mir nach, ich kann die Rührung kaum verbergen. Auch deshalb liebe ich Italien.

Das Ristorante

Es war ein Glücksfall: Ich laufe von der Via Etna, der mondänen, verkehrsberuhigten Einkaufsstraße, in eine der vielen abzweigenden Gassen, um was Typisches für meinen Hunger zu finden, ein Stück weg vom Passantenstrom. Und werde fündig: Ein echter Catanese auf einem Motorini hält, denkt kurz nach und sagt: „Die „Trattoria Casalinga di Nino Mannino“ ist ein paar Meter um die Ecke in der Via Biondo Nr. 19. Dort werden Sie sich wohlfühlen“. Er hatte Recht.

Es ist ein Lokal, schlicht eingerichtet, jedoch mit einer gewissen Grandezza. So wie der Chef selbst und sein Team. Man nimmt sich hier Zeit für den Gast, berät ihn im Detail. Denn hier stehen Essen und Trinken und die Kommunikation im Vordergrund. Nicht das schnelle Abfertigen. Das Angebot ist regional, aus dem Meer oder direkt vom Bauern aus der Umgebung. Die Speisekarte nicht überladen, dafür reich an Spezialitäten. Die Antipasti sind ein Traum, man kann sie sich direkt aus der Anrichte selbst zusammenstellen. Das Gemüse frisch, Blumenkohl, grüne Bohnen, eingelegte Tomaten und Zucchini, mit Parmesan bestreut, liegen dann verführerisch vor einem. Cameriere Alessio verfeinert das auf Wunsch mit mattgelb leuchtendem Olivenöl. Und zeigt mir Ungewohntes: In mein Aqua minerale träufelt er den Saft einer frischen Zitrone, die es so bei uns nicht gibt, und benutzt dazu Messer und Gabel, um die Frucht bis zum letzten Tropfen auszupressen. Das Wasser hat nun ein zartbitteres Aroma, es schmeckt authentisch nach Sizilien.

Ich probiere eine Woche lang auf dieser Gaumenreise, mein Platz ist bis auf weiteres stets gedeckt: Egal, ob der einzige Deutsche im Lokal um 20 Uhr kommt oder spät kurz vor 23 Uhr. Und er kann immer noch auswählen: Zuppa di cozze, Insalata di polpe, Spaghetti vongole und Fisch wie Dorade und Schwertfisch von der Pescheria.

Der Padrone Nino, 75 Jahre alt, setzt sich zu mir und wir philosophieren ein bisschen. Zwischendurch steht er auf, begrüßt die Stammgäste aus Kultur und Wirtschaft. Vor den Damen verbeugt er sich galant und verteilt Handküsse. Zu denen, die regelmäßig kommen, gehört der Maestro vom nahegelegenen Teatro Bellini. Er ist der Dirigent des dortigen Symphonieorchesters, hat eine Opernsängerin an seiner Seite, eine Schönheit. Er klärt mich über die Kulturszene von Catania auf, ein echter Gewinn. Das Sorbetto di lemone, handgemacht aus frischen Zitronen, ist der perfekte Abschluss eines jeden Abends. Ninos Ristorante ist Catania, wie man es sich als Entdecker sizilianischer Lebensart wünscht.

Noch eine Episode zum Schluss: Ich esse dort am Abreisetag kurz vor der Taxifahrt zum Flughafen und habe kein Bargeld mehr, zahle mit Karte. Und sage zu Nino: „Bitte rechne 25 Euro hinzu für mein Taxi“. Er gibt mir nur 20 Euro und ich moniere: „Prego, 25 Euro“. Er winkt etwas genervt ab und erwidert: „20 Euro und basta“. Der Taxifahrer verlangt 25 Euro, ich erkläre ihm, warum ich nur 20 Euro dabeihabe. Und er akzeptiert das. Auch das ist Catania.

Randbemerkungen (erinnerungswürdig)

Die Bucht von Milazzo, nahe der liparischen Insel Vulcano. Im T-Shirt sitzen auf einem angeschwemmten Baumstamm und den Sonnenuntergang bewundern. Niemand zu sehen außer das Thyrrenische Meer und Felsen, nur ein streunender Hund läuft vorbei. Das Wasser ist gerade beim Einschlafen, pure Stille breitet sich aus.

Der Mann, der mich vom Bahnhof in Lentini, der Orangenstadt 30 Kilometer südlich von Catania, im Privatauto ins Zentrum bringt. Er ist der „Taxifahrer“ hier, wie mir die Leute in der Bar „Stazione“ nebenan erklären. Ich zahle pauschal 20 Euro und für den gleichen Betrag holt er mich pünktlich wieder ab. Zeigt dem ihm wahrscheinlich sympathischen Fahrgast aus der Mitte Europas noch zusätzlich ein paar Sehenswürdigkeiten. Es geht durch engste und verwinkelte Gassen des „centro storico“, die Beleuchtung spärlich, verfallene Palazzi, irgendwie morbide alles. Zu der Taxifahrt muss man noch wissen: Auf dem Land in Sizilien liegen die Bahnhöfe meistens ziemlich weit entfernt vom Stadt- oder Dorfzentrum. Die Überraschung zum Abschied: Mein Chauffeur überreicht mir eine Tüte goldgelber, vollreifer Orangen aus seinem Garten. Vorher war ich Zeuge der Taufe eines Zwölfjährigen in der Kirche Madre di S. Alfio im Zentrum: Er schaut ernst, ist sich der Zeremonie bewusst, vielleicht ist er sogar gläubig. Für die Erwachsenen sind die Erinnerungsfotos wichtig, auf denen der Priester mit seinem Schützling milde in die Kamera lächelt.

Zeuge einer sizilianischen Hochzeit (Foto: Horst Wunner).

Der Caffè corretto und die Süßspeise in sieben Schichten nach Mitternacht im „ cafe prestipino“ an der Via etna, charmant serviert. Catania schläft erst spät.

Zum Foto oben: Horst Wunner (sitzend) im Gespräch mit dem Leiter der Chefredaktion Prof. Dr. Otto (links) und dem Vorsitzenden des Redaktionsbeirats, Bernd Dieter RILL, bei der Redaktionskonferenz 2019 in Franzensbad (Foto: Thomas Weiss).

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