Letzte Woche mussten wir vom Tode des langjährigen Mitglieds unserer Chefredaktion, Prof. em. Dr. Helmut Wagner, berichten. Auch aus den Reihen des EUROjournal-Redaktionskollegiums hat uns nun ein persönlicher Nachruf erreicht. Der Autor, Daniel Schikora, wie Helmut Wagner Politikwissenschaftler, erzählt darin von seiner langen freundschaftlichen Beziehung zum hochgeschätzten Senior unseres Fachbeirats.
Als ich mich am letzten Märzwochenende diesen Jahres – von Wrocław/Breslau kommend – für einige Stunden in Berlin aufhielt, erreichte mich der Anruf einer Familienangehörigen Prof. Helmut Wagners, die mich darüber informierte, dass Helmut eine Woche zuvor verstorben war. Mich traf diese Nachricht, kurz nachdem ich versucht hatte, ihn telefonisch zu kontaktieren – ich hatte mit Helmut vor einiger Zeit vereinbart, mich auf jeden Fall bei ihm zu melden, sobald ich mich wieder einmal in Berlin aufhalten würde. Bis ich von seinem Tod erfuhr, hatte ich die Hoffnung, ihn bei dieser Gelegenheit treffen zu können, auch um mich mit ihm über die Erfahrungen meiner (ersten) Wrocław-Reise auszutauschen…
Meine Freundschaft mit Helmut geht auf die Redaktionskonferenz des EUROjournal im Spätherbst 2008 in Mariánské Lázně/Marienbad zurück (die erste, an der ich teilnahm). Insbesondere auf der gemeinsamen Rückfahrt nach Berlin – Helmut hatte mir spontan angeboten, mich dorthin mitzunehmen – lernte ich ihn und seine Frau etwas näher kennen. Bereits damals stellten wir fest, dass uns eine Reihe gemeinsamer Interessen verbänden, die sich auch, aber nicht nur aus unserer gemeinsamen Disziplin, der Politikwissenschaft, ergaben. An herausragender Stelle sei hier das trilaterale Verhältnis zwischen Frankreich, Deutschland und Polen – in der Perspektive des Ausbaus der freundschaftlichen Beziehungen der drei Nationen – genannt.
Wir sprachen auch oft über die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts betreffende erinnerungspolitische Debatten – die Namen Jürgen Habermas und Ernst Nolte fielen bereits in unserem ersten etwas längeren Gespräch, in dem es um die Rolle von Philosophie, Zeitgeschichte und Politikwissenschaft bei der Herausbildung der gegenwärtigen deutschen und (ansatzweise) „europäischen“ Gedenkkultur ging. Als Nolte 2009 seine Betrachtung der Historizität des politischen Islam – Die dritte radikale Widerstandsbewegung: der Islamismus – herausbrachte, vermittelte Helmut, der ihn persönlich gut kannte, mir die (seltene) Möglichkeit, mit dem Autor des Werks über dessen geschichtspolitische Implikationen persönlich zu sprechen. (Das Buch habe ich später u. a. für das EUROjournal rezensiert.)
Solange Helmut in der Lage war, an den Redaktionskonferenzen in Mariánské Lázně und später (ab 2012) in Františkovy Lázně/Franzensbad teilzunehmen – wir fuhren noch gemeinsam dorthin, er am Steuer, als er bereits über 85 war –, gelang es ihm stets, die Qualität der redaktionellen Arbeit zu erhöhen: Da er selbst regelmäßig Beiträge auf höchstem Niveau einreichte, konnte er auch andere dazu animieren, sich kontinuierlich an den Publikationen und, während der Redaktionssitzungen, an der konzeptionellen Gestaltung der jeweils bevorstehenden publizistischen Vorhaben der FEK zu beteiligen. Dabei bestach er durch die Kombination eines äußerst konzilianten Auftretens – selbst gegenüber Positionen, die er inhaltlich für völlig abwegig halten mochte – und seiner Härte in der Sache, wo es um das ging, was er als den Kernbestand des Projekts ansah: das politisch-publizistische Hinwirken auf eine europäische Einigung auf der Grundlage einer ‚Verfassungsordnung der EU, in der die Souveränität der einzelnen Nationalstaaten in einen institutionellen Einklang gebracht wäre mit der Einheitlichkeit einer supranationalen Rechtsordnung, die perspektivisch parlamentarischen und föderalistischen Prinzipien genügen sollte. (In diesem Zusammenhang lobte er auch die europapolitischen Vorstöße Jürgen Habermas’.) Ein besonderes Anliegen war ihm durchweg die Versöhnung mit Polen; der weitverbreiteten Indolenz gegenüber spezifisch polnischen Perspektiven des Komplexes der Erweiterung und Vertiefung der EU wirkte er, wo immer es ihm möglich war, entgegen.
Die Lücke, die Helmuts Tod in das Kollegium des EUROjournal gerissen hat, wird nicht geschlossen werden können. Die Vielfältigkeit der von ihm vermittelten akademischen Begegnungen und die gemeinsame publizistische Aktivität werde ich in tiefer Dankbarkeit in Erinnerung behalten.
Von Kollegiumsmitglied Daniel Schikora
Zum Foto: Der verstorbene Professor Wagner (rechts) bei den Europatagen 2013, zusammen mit dem ersten Staatspräsidenten Litauens, Professor Vytautas Landsbergis (links) und Rainer Dumont du Voitel (1943-2016), langjähriger europäischer Spitzenbeamter.