Am 21. Mai 2025 wurde in einer Sitzung des Conseil de défense et de sécurité nationale, dem Staatspräsident Macron vorsteht, ein im Auftrag des Innenministeriums erstellter Bericht über die Aktivität der Muslimbruderschaft (Ikhwan al-Muslimin) vorgestellt. Der 75 Seiten lange Bericht warnt vor einer „Bedrohung des nationalen Zusammenhalts“, die von einem Islamismus „von unten“ ausgehe, wie er sich im zivilgesellschaftlichen Raum und auf kommunaler Ebene entfaltet. Während das Papier dem Kern der – in Frankreich v. a. in Gestalt der Musulmans de France organisierten – Bewegung lediglich 400 bis 1000 Personen zurechnet, weist es gleichwohl darauf hin, dass rund 91 000 gläubige Muslime die mit der Organisation verbundenen bzw. ihr nahestehenden über 200 Moscheen regelmäßig besuchen sollen. Auch dies eine relativ kleine Minderheit innerhalb der (mehrere Millionen Menschen umfassenden) muslimischen Gemeinden Frankreichs. Dessen ungeachtet erscheint die Strategie der Muslimbruderschaft – des Prototyps einer ‚modernen‘ islamistischen Bewegung –, erhebliche Teile der muslimischen Community, die sie gegen die Normen und Institutionen der laizistischen Republik aufzustacheln sucht, durch gesellschaftlich-kulturelle ‚Parallelstrukturen‘ auf Dauer für sich einzunehmen, als auch im Hexagon nicht gänzlich erfolglos. „Diese Strategie, diskret und auf niedriger Ebene in Sport-, Kultur- und andere Vereinigungen zu infiltrieren, wird in der französischen Diskussion auch ‚Entrismus‘ genannt; ein Begriff, der eigentlich aus dem Trotzkismus stammt. Dahinter verbirgt sich ein janusköpfiges Auftreten: Während die Organisation nach aussen gesetzestreu erscheint, existiert ein innerer Führungszirkel mit geheimen strategischen Funktionen. Öffentliche Vertreter der Bruderschaft vermeiden offene Konfrontationen und überlassen dafür Partnern wie dem mittlerweile aufgelösten Kollektiv gegen Islamophobie die Auseinandersetzung um strittige Themen.“ (NZZ, 24.5.2025)

Der vorliegende Bericht unterstützt das – seit geraumer Zeit vorgetragene – Plädoyer namhafter Experten des politischen Islam, neben der von terroristisch agierenden Gruppen, etwa dem „Islamischen Staat“, ausgehenden akuten Bedrohung der öffentlichen Sicherheit das Phänomen einer ‚legalen‘ Aushöhlung der Autorität staatlicher Institutionen – mit dem Ziel, zumindest den muslimischen oder als muslimisch deklarierten Bevölkerungsteilen perspektivisch einen „Scharia-kompatiblen“ Islam aufzuzwingen – verstärkt in den Blick zu nehmen. Wohl niemanden überraschten daher die wütenden Reaktionen derer, die insbesondere seit dem 7. Oktober 2023 offensiv eine Art antirepublikanischer Querfront von „Linken“ und Islamisten propagieren, auf die Vorstellung des Berichts. So verurteilte ausgerechnet der „links“populistische Hamas-Apologet Jean-Luc Mélenchon (der sich ironischerweise noch vor einigen Jahren – als er sich noch als streitbarer Verfechter einer radikallaizistischen Linken zu profilieren pflegte – selbst ganz im Sinne des Berichts positioniert hatte) wieder einmal eine vom Staat ausgehende „Islamophobie“ und stellte diese in die Tradition des Hasses der antirepublikanischen Rechten des 19. und 20. Jahrhunderts gegen die jüdische und die protestantische Minderheit. Ganz im Sinne der Agitation Mélenchons hatte Amnesty International vor rund einem Monat in seinem (auch in deutscher Sprache veröffentlichten) Bericht „Frankreich 2024“ Behauptungen verbreitet, die – in der Sache unschwer zu widerlegen – der Anprangerung Frankreichs als eines islamfeindlichen, gar „rassistischen“ Staates dienen: „Im September 2024 bestätigte der Staatsrat (Conseil d’État), Frankreichs höchstes Verwaltungsgericht, das Verbot von ‚Abayas‘ und ‚Qamis‘ an staatlichen Schulen. 2004 war ein entsprechendes diskriminierendes Gesetz erlassen worden, mit dem das Tragen von ‚Symbolen oder Kleidungsstücken, die die Zugehörigkeit zu einer Religion zum Ausdruck bringen, an staatlichen Schulen und Hochschulen‘ eingeschränkt worden war.“ Hier wird auch der deutschen Öffentlichkeit ein zentraler Topos der Muslimbruderschaft nahegebracht: Ein Staat, der das Prinzip der Religionsneutralität in öffentlichen Bildungseinrichtungen zur Geltung bringt – und dabei gerade nicht diskriminiert (es ist schlicht unwahr, dass das Gesetz von 2004 sich selektiv gegen Symbole des Islam richtet!) –, wird der vermeintlichen Diskriminierung, an anderer Stelle gar des Rassismus bezichtigt.

Von wem auch immer solche Desinformationskampagnen ausgehen: Sie richten sich gegen alles, was zu Recht mit den Menschenrechtskatalogen der bürgerlichen Revolutionen assoziiert wird. Die Alternative, die die Muslimbruderschaft favorisiert (und etwa im Gazastreifen mit brutaler Gewalt verwirklicht hat), ist die Wiederherstellung einer politischen Ordnung askriptiver Zugehörigkeit (dem Muslim stehen als solchem bestimmte [Muslim-]Rechte zu, nicht aber z. B. das Recht, seinen [oder ihren] Glauben zu wechseln) statt bürgerlicher Rechtsgleichheit. Auch in der Perspektive einer Vereinigung Europas unter den Vorzeichen der republikanischen Freiheit wäre es zu begrüßen, wenn Deutschland und weitere europäische Staaten sich verstärkt mit dem Anliegen einer Verteidigung der institutionellen Laizität, die das friedliche Zusammenleben von Christen, Juden, Muslimen, Atheisten und anderen als citoyens in einem religionsneutralen Staat garantiert, vertraut machen würden.

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