Wie unterscheiden sich die Haltungen von Deutschen und Tschechen in Sachen Energiepolitik, insbesondere beim sensiblen Thema Atomenergie? Dieser Frage ging im Dezember 2022 eine kleine, aber diskussionsfreudige Seminargruppe an der Georg von Vollmar Akademie unter dem Titel „Servus und Ahoj! Die deutsch-tschechischen Beziehungen und die Energie der Zukunft“ nach.

Auf Schloss Aspenstein am Kochelsee, der im tiefen Spätherbstnebel zu Füßen des einstigen Sommerfrische-Domizils der Fürstäbte von Benediktbeuern leider weitgehend verborgen blieb, ebenso wie vollständig das ansonsten so träumerische Alpenpanorama im äußersten Süden des Freistaats, fand besagte Veranstaltung statt. Hier hat es nach den hochwürdigsten Erbauern aus der Zeit des Barocks nach der Säkularisation auch schon diversen Adelsfamilien gefallen. Letzter Vorbesitzer des Anwesens, ehe es nach 1945 dem Freistaat Bayern übergeben wurde, war dann der in Nürnberg als NS-Kriegsverbrecher verurteilte Baldur von Schirach gewesen.

Der Abendstern über Schloss Aspenstein (links), der angesprochene Globus aus der Haushaltung des Vorbesitzers.

Ein riesiger Globus, der dem „Reichsjugendleiter“ und späteren Wiener „Gauleiter“ von Hitler persönlich geschenkt worden war, steht als Mahnmal an diesen kurzen, aber unseligen Teil des Erbes dieses vielschichtigen Erinnerungsorts heute im Atrium der Akademie. Seit 1948, also bald 75 Jahren, ist das Areal rund um das „Aspensteinschlössel“ im Besitz der nach dem Mitbegründer und ersten Landesvorsitzenden der bayerischen Sozialdemokraten Georg Ritter von Vollmar (1850-1922) benannten Akademie. Hier geht es, wie bei der deutlich größeren, aber auch um einiges jüngeren Schwester auf christlich-sozialer Seite, der Hanns-Seidel-Stiftung (seit 1966 bestehend), um vielseitige politische Bildung unterschiedlichster Inhalte.

Der Autor war vor allem vom ersten Teil des Veranstaltungstitels „Die deutsch-tschechischen Beziehungen“ angezogen, das konkrete Thema kam ihm erst kurz vor Antritt der Reise ins bayerische Oberland konkret ins Bewusstsein. Doch die Sorge, das doch recht spezifische Thema rund um die Energieversorgung bzw. deren Wende würde die Anwesenheit des sehr laienhaften Vorstellungen zu dieser Thematik unterliegenden Autors als fehlplatziert decouvrieren, stellte sich als völlig unbegründet heraus. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden auf ihrem ganz unterschiedlichen Wissensstand gut abgeholt, wozu ein einleitender Vortrag am ersten Seminarabend durch den Regensburger Volkswirtschaftsprofessor Dr. Wolfgang Buchholz, Experte für Internationale Umweltökonomie, wesentlich beitrug.

Der Energieexperte und Podcaster Štěpán Vizi informierte profund u.a. über die sehr unterschiedlichen Anteile des Energiemix in Tschechien und Deutschland.

An den folgenden beiden Tagen des Wochenendseminars wurden die gesammelten Vorinformationen und das teilweise profunde Wissen der Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, zum Teil online zugeschaltet, vertieft. Die völlig unterschiedlichen Haltungen dies- und jenseits der Grenze zum Thema Kernenergie nahm dabei einen großen Raum ein. Hintergründe lieferte ein Impulsvortrag von Štěpán Vizi, Politik-Analyst für Klima- und Energiefragen. Für seinen Podcast zu den erneuerbaren Energien in der Tschechischen Republik hatte der Prager wenige Tage zuvor zusammen mit dem Radiojournalisten Filip Rambousek den Journalistenpreis des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds erhalten. Die unterschiedlichen Haltungen und Herangehensweisen zur Thematik „Klimawandel“ zwischen der Bundesrepublik und der Tschechischen Republik wurden in der zehnteiligen Reihe an verschiedenen Beispielen herausgearbeitet. Anschließend erarbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Kleingruppen Argumente pro und contra Atomenergie, was interessante und über den Tellerrand der eigenen Meinungen und Auffassungen hinausgehende Erkenntnisse brachte.

Freilich wurde auch das deutsch-tschechische Verhältnis ganz generell beleuchtet und diskutiert, wobei sich unter Moderation der Tagungsleiterin Bára Procházková, einer erfahrenen tschechischen Print- und TV-Journalistin, das Wissen von dies- und jenseits der Grenze als erfreulich profund und bereichernd herausstellte. Die jüngste Geschichte spielte dabei eine naturgemäß ebenso große Rolle – etwa die Annäherung zwischen tschechischen und bayerischen Regierungsdelegationen in den letzten Jahren unter dem Vorzeichen von Annexion und später folgender Vertreibung – wie die über ein Jahrtausend bestehenden Verbindungen zwischen Bayern und Böhmen, wobei der Name Kaiser Karl IV. natürlich besonders häufig fiel. Der böhmische König und römisch-deutsche Kaiser des 14. Jahrhunderts, der sein Böhmisches Kernland zu seiner Regierungszeit bis kurz vor die Kaiserstadt Nürnberg ausdehnte, wurde erst vor wenigen Jahren bei einer repräsentativen Umfrage in Tschechien zur bedeutendsten tschechischen Persönlichkeit der Geschichte gewählt.

Die Tagungsleiterin Bára Procházková aus Prag führte gekonnt durch das Wochenendseminar (Fotos: Wolfgang Otto).

Aber auch die moderne tschechische Unterhaltungskultur kam nicht zu kurz, so gab es am Samstagabend eine Filmvorführung des Animationsfilms „Alois Nebel“, der auf der Graphic Novel des bekannten Schriftstellers Jaroslav Rudiš beruht und die Geschichte der sudetendeutschen Vertreibung thematisiert.

Mit Überlegungen, wo und wie an einer weiteren Intensivierung und Verbesserung des deutsch-tschechischen Verhältnisses gearbeitet werden könnte, endete ein interessantes und spannendes Wochenende in Kochel am See, wo es neben der hervorragenden Organisation und Seminarleitung auch die reichhaltige und köstliche Verpflegung lobend herauszustellen gilt.

Vom Leiter der Chefredaktion Prof. Dr. Wolfgang Otto

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