Beim 63. Andechser Europatag der Paneuropa-Union Deutschland am vergangenen Wochenende haben deren Präsident, der langjährige CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt aus München, sowie der Vorsitzende des Europaausschusses im Deutschen Bundestag, Dr. Anton Hofreiter von den Grünen, vor einem westlichen Selbstbetrug in Sachen Ukraine gewarnt.

Posselt betonte, dass der russische Präsident Putin „nicht im geringsten daran denkt, einen auch nur einigermaßen tragfähigen Frieden zu schließen.“ Nach wie vor strebe er ein von Moskau gelenktes Eurasien von Wladiwostok bis Lissabon an. Dieses Ziel sei zwar nicht realistisch, werde aber von ihm und seinem Umfeld ständig getrommelt. Deshalb sei die Idee, „dass man ihm ein Viertel, die Hälfte oder die ganze Ukraine schenkt und dann Ruhe ist, nicht nur moralisch falsch, sondern auch dumm und illusionistisch.“

Da die USA sich von Europa abwendeten und Russland auf lange Zeit eine Gefahr bleiben werde, müssten, so Posselt, „nicht nur in einer Koalition der Willigen Sofortmaßnahmen eingeleitet und massive Hilfen für die existenziell gefährdete Ukraine bereitgestellt werden, sondern gleichzeitig energisch der Aufbau von Vereinigten Staaten von Europa mit einer funktionsfähigen Verteidigungsunion sowie einer supranationalen Europäischen Armee angegangen werden.“

Kloster Andechs

Der „heilige Berg Bayerns“ war zum 63. Male Schauplatz des Andechser Europatages (Foto: Stefan Zwinge).

Der große Europäer Otto von Habsburg habe als Freund der USA, wo er als Verfolgter des NS-Regimes Aufnahme gefunden hatte, den für viele Menschen schockierenden Satz geprägt, der nächste Hitler könne auch aus den USA kommen. Trump sei zwar kein Hitler, aber seine Mitkämpfer Musk und Bannon „laufen bewusst mit erhobenem rechtem Arm herum und versuchen, eine weltweite faschistische Internationale aufzubauen“, so Posselt. Es sei daher nicht auszuschließen, dass ihr Weg eines Tages doch in diese Richtung führe.

Ernstfall für Europas Einigung

Beim zentralen Diskussionsforum zum Thema „Schluss mit dem leeren Gerede – Europas Einigung steht vor dem Ernstfall“ betonte Anton Hofreiter MdB: „Wir werden an allen Fronten angegriffen“. Zur Herstellung der Verteidigungsfähigkeit forderte er die Schaffung eines Europäischen Geheimdienstes – „wir brauchen eine eigene NSA“ – und insbesondere eine offensive Cyberabwehr: „Man muss die Möglichkeit haben, dem Aggressor zu sagen: Du kannst unsere Kraftwerke und Krankenhäuser lahmlegen, aber dann musst du damit rechnen, dass wir dasselbe tun.“ Dazu käme die Vereinheitlichung der Waffensysteme: „In Europa haben wir 19 verschiedene Kampfpanzertypen.“ Zur Abwehr der subversiven Kriegsführung Russlands in Deutschland sprach er sich für ein AfD-Verbot aus: Diese Partei sei verfassungsfeindlich und „organisiert den Landesverrat in unseren eigenen Parlamenten.“ Der Vorsitzende des Europaausschusses im Deutschen Bundestag mahnte dringend, „zu verstehen, was passiert auf der Welt“. Russland sei „ein Imperium, das wieder wachsen will und keine Demokratien an seinen Grenzen duldet“; und in den USA habe Trumps Umfeld mit Persönlichkeiten wie J. D. Vance, Curtis Yarvin oder Peter Thiel Ordnungsmodelle für die Welt, die denen von Putin und Xi entsprächen. Es sei inakzeptabel, dass China durch TikTok die europäische Jugend manipuliere und gleichzeitig die EU ausspioniere: „Wir müssen TikTok abschalten!“

Dr. Benjamin Hartmann, Dr. Ingo Friedrich, Anton Hofreiter MdB, Dr. Dirk H. Voß, Botschafter Jan Tombiński, Prof. Klaus Welle und Michael Gahler MdEP

Podium v.l.n.r.: Dr. Benjamin Hartmann, Dr. Ingo Friedrich, Anton Hofreiter MdB, Dr. Dirk H. Voß, Botschafter Jan Tombiński, Prof. Klaus Welle und Michael Gahler MdEP (Foto: Johannes Kijas).

Polens Botschafter in Deutschland, Jan Tombiński, zitierte Putins Chefideologen Alexander Dugin: „Für Russland ist der Krieg ein Faktor der Identität und konstitutiv. Russland soll mit dem Krieg leben.“ Dies ziele langfristig auf die Vernichtung einer EU, die „uns Sicherheit, Zuversicht und die Möglichkeit bietet, in die Zukunft zu investieren“. Die „méthode communautaire“, die Gemeinschaftsmethode der EU, am Verhandlungstisch Lösungen zu finden, sei für Putins Ideologie ein Störfaktor und „eine existentielle Gefahr“. Die Sogkraft der europäischen Integration habe schon die Sowjetunion zu Fall gebracht. Damals wollten die Mitteleuropäer nicht mehr unter dem sowjetischen System leben; heute strebten jene, die noch von postsowjetischen Strukturen tangiert würden, wie Ukraine und Moldau, nach einem „Anteil an dem, was wir haben“. „Deshalb greift uns das russische System auch in unseren Ländern an, durch Parteien, die die Demokratien schwächen – wie früher durch die Kommunistischen Parteien in Frankreich, Italien oder Portugal.“ Tombiński rief die Politiker Europas dazu auf, mehr Mut zu zeigen: „Gerade unsere demokratische Gesellschaft schätzt Mut.“

Benjamin Hartmann aus dem Kabinett des ersten EU-Kommissars für Verteidigung und Weltraum in der Geschichte, Andrius Kubilius, gab einen Überblick über die Tätigkeiten und Pläne der EU. Russland sei zwar wirtschaftlich schwach, gebe aber für Rüstung derzeit mehr aus als die gesamte EU; und der deutsche Geheimdienst habe öffentlich erklärt, dass Russland schon 2030 in der Lage sein werde, „den Artikel 5 der NATO zu testen“. Abschreckung sei daher keine Kriegstreiberei, sondern notwendig zur Erhaltung des Friedens. Deshalb habe Kommissar Kubilius vor wenigen Tagen ein Weißbuch vorgestellt, das größere Verteidigungsausgaben ermögliche und sich um die von der NATO bereits festgelegten Fähigkeitslücken und Projekte kümmere, die für einen einzelnen Mitgliedstaat nicht zu stemmen seien. Dabei gehe es um Produktion, Grenzsicherung, Raketen sowie Infrastruktur für militärische Mobilität. Ein besonderer Schwerpunkt sei die beschleunigte Entwicklung und Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie und der Aufbau einer Ukraine-Taskforce, die die Verteidigungsindustrie der Ukraine intensiver in die Verteidigungsindustrien der EU integriere. Da die Kompetenz für Verteidigung aber noch weitgehend bei den Mitgliedstaaten liege, sei jetzt die Implementierung durch diese erforderlich. Zugleich habe die Kommission auch eine Strategie gegen Sabotage, Desinformation und Destabilisierung im Blick.

Der Ukraine-Berichterstatter des Europäischen Parlamentes und außenpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Michael Gahler MdEP, wies darauf hin, dass die europäische Volksvertretung, auch Dank der Erweiterung von 2004, wesentlich früher die russische Gefahr erkannt und, etwa durch den Bericht zur Energie-Außenpolitik von 2006, Vorkehrungen getroffen habe. Für die Umsetzung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsstrategie der EU gelte es das Potential auszuschöpfen, das bereits im Vertrag von Lissabon verankert sei, denn dafür sei die Einstimmigkeit des Rates nicht erforderlich. „Wir haben schon einen Gesetzesakt für schnellstmögliche Munitionsbeschaffung beschlossen und ein 300 Millionen Programm für Mehrkosten beim Kauf von Waffen.“ Die NATO habe zahlreiche gemeinsame Standards entwickelt, sei aber nicht in der Lage gewesen, diese umzusetzen. Deshalb müsse dies so schnell wie möglich im Rahmen des EU-Binnenmarktes durch entsprechende Gesetzgebung geschehen, so Gahler, der auch Vizepräsident der Paneuropa-Union Deutschland ist.

Der Präsident des Europäischen Wirtschaftssenats, Dr. Ingo Friedrich, stellte die Frage, ob mit dem Abdriften Trumps das gesamte westliche Wertesystem mit regelbasierter Ordnung, Völkerrecht und Menschenrechten untergehen werde wie einst der Sowjetkommunismus: „Haben wir es im Kreuz, dass wir diese Fahne in die Hand nehmen? Europa muss jetzt der Leuchtturm der Freiheit werden.“ Es gelte wirtschaftliche Weltmacht zu bleiben, militärisch eine zu werden „und die Botschaft von Freiheit, Menschenwürde und Menschenrechten weiterzutragen.“ Wenn dies während der Trump-Phase gelinge, habe Putin zwei westliche Weltmächte gegen sich, wenn sich in Amerika das Blatt wieder wende. Friedrich erinnerte an scheinbare Utopien, die Wirklichkeit geworden seien, wie die Gründung von Airbus durch Franz Josef Strauß oder den Fall des Eisernen Vorhangs. Scharf attackierte der langjährige Vizepräsident des Europaparlaments wie der internationalen Paneuropa-Union die Auffassung mancher Staatsrechtler, dass Gemeinwohl, Patriotismus und Identität an den Nationalstaat gebunden seien, und forderte, hier auch die europäische Ebene einzubeziehen: „Wir können bayerische, deutsche und europäische Patrioten sein! Es gibt auch ein europäisches Gemeinwohl!“

Prof. Klaus Welle vom Brüsseler Martens Centre wies darauf hin, dass sowohl die USA als auch Russland schwächer seien als gemeinhin angenommen: „Der amerikanische Haushalt ist bereits zu 25 Prozent schuldenfinanziert, das Land fährt an die Wand. Russland hat nur die Wirtschaftskraft von Spanien. Beide können nur einen Konflikt gleichzeitig bewältigen.“ Europa hingegen habe ein viel größeres Potential, das es durch Zersplitterung aber nicht nutze. Die Europäische Volkspartei, deren Stiftung das Martens Centre sei, habe schon vor dreißig Jahren eine Europäische Armee mit eigenem Atomschirm gefordert. Dies dürfe nicht länger ein Tabu sein, sondern sei unverzichtbar für die Souveränität Europas. Die Ukraine leiste schon jetzt einen wesentlichen und sehr innovativen Beitrag zur Europäischen Verteidigung, den es weiter zu entwickeln gelte: „Das Schicksal der Ukraine ist unser eigenes Schicksal. Wenn dieses Land gezwungen wird, abzurüsten, dann stehen auch wir nackt da“, so der langjährige Generalsekretär des Europäischen Parlamentes.

Bernd Posselt, Präsident der Paneuropa-Union Deutschland

Dr. h.c. Bernd Posselt, Präsident der Paneuropa-Union Deutschland, hatte mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern wieder ein vielseitiges Programm mit hochaktueller Bedeutung zusammengestellt (Foto: Stefan Zwinge).

Der Europa- und Verfassungsrechtler Dr. Dirk Voß, Vizepräsident der internationalen Paneuropa-Union, erinnerte an eine Umfrage von 1925, also vor genau 100 Jahren. Der Begründer der Paneuropa-Union und damit der modernen europäischen Einigungsbewegung, Richard Graf Coudenhove-Kalergi, habe damals der gesamten politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Prominenz zwei Fragen gestellt: „Halten Sie die Vereinigten Staaten von Europa für wünschenswert?“ und „Halten Sie deren Errichtung für möglich?“ Darauf habe der Nobelpreisträger Albert Einstein, ein aktives Paneuropa-Mitglied, geantwortet: „Ja, es ist wünschenswert; und was wünschenswert ist, ist auch möglich.“ Ähnlich sei die Reaktion eines anderen Paneuropäers, des jungen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer, ausgefallen, der auf seine trockene Art einfach „Ja“ und „Ja“ schrieb. Hätten sich solche Stimmen, so Voß, der das Podium moderierte, damals durchgesetzt, wären Europa der Zweite Weltkrieg und die Teilung infolge der Konferenz von Jalta erspart geblieben. Heute müssten wir uns an solchen Persönlichkeiten orientieren und die Vereinigten Staaten von Europa vorantreiben.

Von Kollegiumsmitglied Stephanie Waldburg, Paneuropa-Union Deutschland

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