Am 25. Juni sprach Karl Freller, der 1. Vizepräsident des Bayerischen Landtags, als Schirmherr der Veranstaltung auf dem Christopher Street Day (CSD) in Regensburg. Dem seit vielen Jahren auch als Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten aktiven CSU-Politiker war die Schirmherrschaft über zehn in Bayern stattfindende Kundgebungen in Nürnberg, Erlangen, Kelheim, Landshut, Amberg, Schwandorf, Sulzbach-Rosenberg, Bayreuth, Neustadt/Waldnaab und Regensburg angetragen worden. Er habe diese „mit Überzeugung übernommen. Sowohl die Verfolgung homosexueller Menschen einst durch die Nazis als auch die allerjüngsten Ereignisse in Augsburg und in der Nacht zum Samstag in Oslo bestätigen mich in meiner Auffassung, wie wichtig hier Solidarität ist.“

Unser langjähriges Kollegiumsmitglied hat uns sein Redemanuskript vom Samstag auf dem Regensburger Haidplatz zur Verfügung gestellt, aus dem wir hier zitieren möchten:

„Ich freue mich, heute hier zu sein. Es ist ein wunderschönes Bild – Hunderte Menschen, die stolz sind, die sich zeigen. Sichtbar und sicher! So soll es sein! So muss es sein! Dafür setze ich mich ein – als Ihr, als Euer Schirmherr! […]

Ich will Ihnen sagen: Nach der Gedenkfeier zum 27. Januar in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg hat mir Bastian Brauwer die Schirmherrschaft angetragen. Ich habe überzeugt ja gesagt und bin jetzt Schirmherr der CSDs, erstmals zehn CSDs in Bayern, unter einem Motto: „Sichtbarkeit schafft Sicherheit“ – initiiert durch die CSDs Nürnberg und Erlangen, denen ich für ihre Arbeit herzlich danke! So schaffen wir gemeinsam noch mehr Sichtbarkeit – mehr Raum, mehr Wirkung für die Anliegen der queeren Community, für Ihre Themen und für die Probleme, die es immer noch gibt: Diskriminierung, Hass, Gewalt gegen LSBTIQ*-Menschen – gegen Menschen. Zuletzt leider geschehen auf dem CSD in Augsburg – unfassbar!

Das treibt mich um. Das darf nicht sein. Da stemme ich mich dagegen – als Demokrat, als Politiker, als Mensch. Da halte ich meinen Kopf hin. […]

Vor zehn Jahren hat man mich erstmals gefragt, ob ich auf dem CSD in Nürnberg sprechen möchte. Ganz ehrlich: Ich war nicht sicher. Aber dann stand ich da, auf dem Nürnberger Jakobsplatz. Und vor mir – wie heute – unzählige Fröhliche, Feiernde. Das hat mich gepackt. Begeistert. Mich zutiefst berührt.

Als Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und auch als Vizepräsident des Landtags ist Erinnerungskultur ein Schwerpunkt meiner politischen Arbeit. Die historischen Bilder aus dem dunklen Deutschland – die Nazi-Tyrannei, die menschenverachtende Ideologie, Folter, Qualen, Morden, die Konzentrationslager Flossenbürg und Dachau – sie sind mir immer präsent. […] Nie wieder sollen in Deutschland homophobe Faschisten und Fundamentalisten andere Menschen terrorisieren, weil sie nicht in ihr kleines, verengtes Weltbild passen!

Nie wieder sollen sich Menschen verstecken müssen, weil sie nicht akzeptiert werden, weil sie Angst vor Ausgrenzung und Anfeindung haben. Das ist nicht mein Land! Das ist nicht unser Land!

Der rosafarbige Winkel der Nazis war ein Stigma, oft ein Todesurteil. Die queere Community hat dieses Symbol der Verachtung umgekehrt und es bis zur Ablösung in den 1990er Jahren durch den Regenbogen als stolzes Zeichen des Widerstands gegen Unterdrückung, Verachtung und für gleiche Rechte eingesetzt.

Eine stolze, selbstbewusste und sichtbare Gemeinschaft, die ein Recht auf Gleichberechtigung hat, auf Freiheit, Toleranz und Anerkennung. Darauf, sich nicht erklären zu müssen – sondern einfach: zu sein. Das ist unser Ziel! Das ist mein Ziel!

Leider sind wir davon in vielen Teilen der Welt weit entfernt. Mehr als 70 Länder und Regionen haben antihomosexuelle Gesetze – mitunter droht wie im Iran und in Saudi-Arabien die Todesstrafe. Aber warum in die Ferne schweifen? In Ungarn und Polen gibt es dramatische Diskriminierung. Und was wir von Putins Russland auch insofern zu halten haben, wissen wir. Auch westeuropäische Gesellschaften sind nicht überall sicher. Ich bin entsetzt über die Nachricht von heute Nacht aus Oslo. Mindestens zwei Tote und 19 zum Teil Schwerverletzte bei einem Anschlag auf einen Gay-Club. Welch ein Drama, welch ein abscheuliches Verbrechen. Der Mörder ist gefasst, doch das Leid bei den Angehörigen der Toten und die Folgen schwerer Verletzungen werden bleiben. Mögen die Betroffenen unserer Anteilnahme aus Regensburg versichert sein.

Viele queere Personen leiden unter homo- und transfeindlichen Atmosphären. Haben Angst vor dem Outing – in der Familie, im Freundeskreis, im Verein, in der Schule oder am Arbeitsplatz. […] Auch die sozialen Medien sind mit Hassrede verseucht. Und dann gibt es blanken Hohn, wenn ich etwa lese, dass queere Menschen bei der Fußball-WM in Katar willkommen sein sollen – aber bitte nicht sichtbar. Also das Motto: Einhörner und Regenbogen verboten? Ich sage nein: Wo man sich verstellen muss, ist man nicht willkommen! Ich wünsche mir, dass jeder Mensch offen und angstfrei zeigen kann, wie er ist und wer er ist. Erst wenn alle Menschen Freiheit spüren, sind wir wirklich frei!

Und da ist noch eine Menge Erkenntnis- und Handlungsbedarf. Als Christsozialer will ich die Kirchen da nicht ausnehmen. Umso mehr freue ich mich, dass im Sommer die „Regenbogenpastoral“ startet, die Diskriminierungen aufarbeiten und überwinden soll. Und im Januar haben sich 125 Mitarbeiter_innen in einer bisher beispiellosen gemeinsamen Aktion geoutet. Das war mutig. Das war groß.

Wir alle sind in Deutschland mit dem CSD, der „Ehe für alle“, der Adoption für gleichgeschlechtliche Paare und der sogenannten „dritten Option“ im Personenstandsgesetz große Schritte vorwärtsgekommen. Aber zu einer Gesellschaft der Angstfreiheit, der Sicherheit – ist es noch ein weiter Weg. […]

Wir stellen uns kämpferisch allen entgegen, die unsere liberalen Werte mit Füßen treten. Wir stehen für Aufklärung und Überzeugung, für ein inklusives Land in allen Lebensbereichen, für eine Gesellschaft, die ein Schutzraum ist, für alle Menschen, für ein Miteinander in Respekt und Gleichwertigkeit – ohne Ansehung der sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität oder der ethnischen Zugehörigkeit.

Haben wir Mut, menschlich zu handeln! Haben wir Vertrauen, tolerant zu sein! Ich bin überzeugt: Unsere Welt, unser Leben ist zu komplex für Schubladen. Nicht Schwarz-Weiß ist normal! Bunt ist normal! […] In Bayern sagt man „Leben und leben lassen!“. Fügen wir doch hinzu „Lieben und lieben lassen!“ No hide – more pride!“, schloss der Landtagsvizepräsident seine vielbeachtete Ansprache, der sich Reden diverser Aktivisten sowie von Vertretern aller demokratisch gesinnter Stadtratsfraktionen anschlossen, u.a. des Organisators Alexander Irmisch, eines ehemaligen Zeitsoldaten und Jugoslawien-Kämpfers der Bundeswehr und aktuellen SPD-Stadtrats. -ej-

Zum Foto: Landtagsvizepräsident Karl Freller vor einer Regenbogenfahne beim CSD in Tel Aviv im Juni 2019 (Quelle: Karl Freller).

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