Die Ratspräsidentschaft Spaniens wurde gleich zu Beginn ein wenig überschattet durch die angekündigte Neuwahl des Parlaments. Statt wie bisher vorgesehen am Jahresende wurde nun bereits am 23. Juli ein neues Parlament gewählt. Hintergrund für die Entscheidung war das Debakel der Linken bei den Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai, die Spanien deutlich nach rechts rücken ließen. Daraufhin entschied sich Spaniens sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez, „das Parlament aufzulösen und eine Parlamentswahl anzusetzen“ (Anmerk. d. Red.: an den schwierigen Mehrheitsverhältnissen im Spanischen Parlament hat sich dadurch freilich nichts geändert, wie sich nach Erstellung dieses Beitrags zeigte).

Während seines langen Zeitraums als Mitglied der Union (seit 1986) hat Spanien den Fortschritt verschiedener EU-Politiken unterstützt. Aufgrund seiner Eigenart, geografischen Lage und der klaren Berufung der spanischen Bevölkerung hat es besondere Aufmerksamkeit auf Themen wie die Gleichstellung von Männern und Frauen, Bildung, Beschäftigung und soziale Rechte, Agrar- und Fischereipolitik, Umweltschutz und Bekämpfung des Klimawandels, die Freizügigkeit, Migrationsfragen, die Bekämpfung des Terrorismus, die kulturelle und sprachliche Vielfalt, Fortschritte in der Wirtschafts- und Währungsunion, internationale Handelsabkommen, die Vertiefung des Binnenmarktes und des digitalen Wandels gelegt.

Sie hat sich auch intensiv an der Entwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beteiligt, indem sie die Beziehungen zu zwei Regionen fördert, die ihr besonders nahestehen, Lateinamerika und die südlichen Küsten des Mittelmeers, ohne jedoch das ultimative Ziel zu vergessen, die Rolle der Europäischen Union als international führender globaler Akteur zu stärken.

Spanien, getreu seinem Europäismus und der Überzeugung, dass die Förderung der europäischen Integration die beste Formel für die Verbesserung des Wohlergehens seiner Bürger und aller Europäer ist, übernimmt seine fünfte Ratspräsidentschaft mit der gleichen Entschlossenheit, wie es in den 36 Jahren seit seinem Beitritt gezeigt hat und bereit ist, für ein geeinteres, autonomeres, strategischeres und gerechteres Europa zu arbeiten.

Botschaft des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez:

„In den letzten Jahrzehnten hat Europa gezeigt, wie viel es für Spanien tun kann. Jetzt ist es an der Zeit, dass Spanien der Welt zeigt, wie viel wir für Europa tun können. Unser Land übernimmt die rotierende Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union mit Demut und Dankbarkeit. Aber auch mit Ehrgeiz, entschlossen, es zu einem nützlichen Instrument zur Verbesserung des Lebens der Bürger zu machen. Wir wollen das Europa der Menschen, das, das sich um ihre Bedürfnisse, ihre Forderungen kümmert, jenes, das Chancen bietet und auch Antworten auf die Herausforderungen der Bürger und auch ihrer Umwelt bietet, die, kurz gesagt, die Zukunft antizipiert.

Wir werden die Reindustrialisierung und Digitalisierung Europas vorantreiben. Wir werden in diesem ökologischen Wandel entscheidende Fortschritte machen. Wir werden die Wirtschaft wohlhabender, aber auch gerechter machen. Und wir werden die europäische Einheit mit neuen Instrumenten und neuen Abkommen stärken.

In einem geopolitischen Kontext, der von Unsicherheit geprägt ist, muss Europa zu einem Raum der Gewissheiten werden, in dem materielles Wohlergehen, Freiheit und Demokratie den Weg für die Zukunft aller Menschen ebnen.

Das ist unser Ehrgeiz und unser Engagement. Vielen Dank.“

Das Programm

enthält die Prioritäten und die Hauptrichtung für den spanischen Vorsitz im Rat der Europäischen Union vom 1. Juli bis 31. Dezember 2023.

Die Europäische Union ist ein Projekt für das Wohlergehen aller Europäer, das ihren Bürgern zugänglich und nahe ist und sich dafür einsetzt, europäische Lösungen für ihre Probleme zu finden.

Spanien glaubt an ein globales, autonomes, digitales und ökologisches Europa, das Innovation und soziale Gerechtigkeit verbindet, auf das der spanische Ratsvorsitz unter dem Motto „Europa, näher“ hinarbeiten wird.

Die wichtigsten Handlungslinien

Die wichtigsten Aktionslinien während der sechs Monate des spanischen Ratsvorsitzes basieren auf vier Prioritäten: Reindustrialisierung der EU und Gewährleistung ihrer offenen strategischen Autonomie, Förderung des ökologischen Wandels, Förderung einer größeren sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit und Stärkung der europäischen Einheit.

Während seines Vorsitzes wird Spanien die institutionelle Vertiefung und Verbesserung der Beschlussfassungsprozesse sowie die Erweiterung der Europäischen Union fördern.

Unterstützung für die Ukraine

In Bezug auf die Herausforderung der Invasion Russlands in die Ukraine hält es Spanien für wesentlich, die Ukraine weiterhin stark zu unterstützen.

In wirtschaftlicher Hinsicht und vor dem Hintergrund der internationalen wirtschaftlichen Instabilität sind die Wachstumsprognosen für die europäische Wirtschaft positiver als in den vorangegangenen Monaten.

Menschliches und solidarisches Migrationsmanagement

Der spanische Ratsvorsitz wird besonderes Augenmerk auf die fortschreitende Konvergenz der nationalen Rechtsvorschriften und die Digitalisierung eines Justizsystems legen, das den Bürgern dient. Spanien verpflichtet sich auch zum Schutz des Schengen-Raums und zu einer humanen, verantwortungsvollen, solidarischen und wirksamen Steuerung der Migrationsströme.

Die Förderung der Reindustrialisierung und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Unternehmensgefüges sind weitere Ziele des spanischen Ratsvorsitzes, ebenso wie die Beschleunigung des ökologischen Wandels ohne Beeinträchtigung des europäischen Wohlstands. Zu diesem Zweck werden bei den Assoziierungsabkommen mit vorrangigen Regionen, insbesondere Lateinamerika und der Karibik, Fortschritte erzielt.

Die Europäische Union muss weiterhin gemeinsame Maßnahmen ergreifen, um die Abhängigkeit von Rohstoffen und Schlüsseltechnologien zu verringern, um Energieautonomie zu erreichen. Und im Verkehrssektor wird die Dekarbonisierung eine der größten Herausforderungen auf der Agenda sein.

Für eine Europäische Union, die Gesundheit, Kultur und Sport fördert

Spanien wird auch für eine Europäische Gesundheitsunion arbeiten, da die COVID-19-Pandemie gezeigt hat, dass wir nicht danach streben können, einen Raum des Wohlstands aufzubauen, ohne zuerst das grundlegendste zu garantieren: die Gesundheit der Menschen.

Der spanische Ratsvorsitz wird sich auch für die Zukunft junger Menschen einsetzen, indem ein inklusiver, digitaler und wettbewerbsfähiger Bildungsrahmen geschaffen und die Bereiche Sport und Kultur gestärkt werden.

Ernährungssicherheit

Als weltweit größter Lebensmittelproduzent trägt die EU eine große Verantwortung für die Ernährungssicherheit. Der spanische Ratsvorsitz wird weiterhin daran arbeiten, die Auswirkungen der russischen Invasion in die Ukraine zu bekämpfen, einschließlich Marktverzerrungen und steigender Kosten für Rohstoffe, Energie und Brennstoffe.

Nicht besonders ausformuliert scheint uns die EU-Asylpolitik, siehe oben. Wir brauchen ein funktionierendes gemeinsames europäisches Asylsystem und dies noch vor der Europawahl. Immer noch fehlt ein Optimum an Solidarität, Menschlichkeit und Verlässlichkeit.

Zum Thema EU-Erweiterungspolitik bleibt der Vorsitz ziemlich schwammig. Einige von Ihnen kennen noch die Diskussion aus den 1990er Jahren – Vertiefen vor Erweitern. Selbst unsere demokratische Governance steht allzu oft auf dem Prüfstand.  Die russische Aggression lässt nicht nach, mit Waffen aber auch durch subtile Destabilisierung das freie Europa zu bekämpfen.

Von unseren Kollegiumsmitgliedern Annelene Adolphs und Peter Schöner, Europaverein GPB e.V.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert