Der deutsche Finanzminister Christian Lindner hat recht, wenn er anmahnt, dass es hunderttausende potentielle Arbeitskräfte gebe, die dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen, da sie bereits mit 63 in den Ruhestand gingen. Falsch ist aber die Einschätzung, dass sich durch die Abschaffung dieser Möglichkeit substanziell etwas an dieser Situation ändern würde. Viele der Menschen, die sich zu einer früheren Verrentung entschließen, würden liebend gerne noch weiter arbeiten – wenn sie die Möglichkeit für eine angemessene Weiterbeschäftigung hätten. Noch immer gelten – trotz des allerorten beschworenen Fachkräftemangels – in vielen Firmen ältere Arbeitskräfte als zu teuer und zu unflexibel, um auf moderne Anforderungen zu reagieren.

Noch immer werden ältere Fachkräfte aufs Abstellgleis gedrängt oder genötigt ungünstigere Neuverträge zu unterschreiben, das heißt in der Regel auf einen Teil der Einkünfte zu verzichten. Ich rede nicht etwa von hochspezialisierten Ingenieuren, die schon immer Mangelware waren und auch früher schon im Ruhestand über Werkverträge weiterbeschäftigt wurden. Vielen andere aber werden gefrustet und es wird ihnen schwer gemacht bis zum eigentlichen Rentenalter durchzuhalten und nehmen dann die Möglichkeit einer früheren Verrentung in Anspruch. Noch lässt die Wirtschaft lieber Stellen unbesetzt, nur weil die Zahl jüngerer Bewerber begrenzt ist. Dies sei wirklich ein Problem, bestätigte mir der Chefvolkswirt einer deutschen Bank.

Verwundert es dann, dass der eine oder andere, trotz einer dann häufig etwas reduzierten Rente, offen für einen früheren Ruhestand ist? Das erscheint jedenfalls besser als diesen Menschen ihre Arbeitslosigkeit, später das Bürgergeld oder gar Krankenhausaufenthalte in Folge von Mobbing und Burnout zu finanzieren. Das so ungenutzte Potential an Arbeitskräften jedenfalls scheint in der Tat riesig, dass durch das Ausscheiden der sogenannten Babyboomer in den kommenden Jahren sogar noch wachsen dürfte.

Auch wenn der eine oder andere etwas länger braucht, um eine neue effektivere Arbeitsform zu akzeptieren, sollte sich dieses Problem in den meisten Fällen vergleichsweise einfach lösen lassen, wenn der Wille dazu in der Wirtschaft da ist. Ob der erwarteten weiteren dramatischen Fachkräfteverknappung in den kommenden Jahren sollte sie eigentlich dazu bereit sein. Wenn das Klima in den Firmen auch für ältere wieder stimmte, ließen sich viele dazu motivieren, weiter zu arbeiten, möglicherweise sogar über das formale Rentenalter hinaus. Eine Abschaffung einer früheren Verrentung jedenfalls bringt dafür eher wenig und belastet im Zweifel den Sozialstaat noch mehr.

Vom Mitglied der Chefredaktion Dieter Brockmeyer

Image from Pixabay

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