Es war eine ungewöhnliche Atmosphäre beim Bundeskongress der Paneuropa-Jugend Deutschland (PEJ) in Görlitz, das unter dem Motto „Europa an der Zeitenwende – geeint und stark in die Zukunft“ deutschlandweite Aufmerksamkeit auf sich zog. Einerseits eine spürbare Freude, dass Paneuropa, die älteste Friedensbewegung auf dem alten Kontinent, heuer das 100-jährige Jubiläum feiern darf und der Nachwuchs dazu ein bisschen beiträgt, den Gedanken der Solidarität weiterzuführen und Begegnungen über Generationen und Grenzen hinweg zu ermöglichen. Und andererseits tiefe Betroffenheit herrscht, weil das Damoklesschwert eines langen Krieges in der Ukraine die Seele verletzt. Aber die jungen Leute blicken nach vorn, hoffen dennoch auf ein baldiges Ende der Auseinandersetzungen, die Russland unter der größten Missachtung des Völkerrechts gegen seinen Nachbarstaat herbeigeführt hat.

Bundesvorsitzender Christian Hoferer nannte daher den Tagungsort Görlitz, direkt an der Grenze zu Polen, ganz nahe zu Tschechien und nicht so weit von der Ukraine entfernt, als ein Zeichen Brücken zu bauen und Vorurteile abzubauen. „Wir wollen trotz aller Sorgen auch etwas das europäische Flair des Baustils hier genießen und neue Impulse für die Freundschaft unter den Völkern auslösen“. Wo die PEJ eine starke Stimme hat, denn sie ist in 38 Staaten und fünf Landesverbänden in der Bundesrepublik gut auf europäischer Ebene vertreten.

Drei Foren zogen wie ein roter Faden durch den Kongress. Dabei galt dem aktuellen Thema „Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine“ die höchste Aufmerksamkeit. Und da positionierten sich die drei Redner klar als Freunde eines Landes, das Unsagbares erdulden muss. Voran Michael Gahler, der die geeinten Kräfte in Europa aufforderte „jetzt die Ukraine in allen Bereichen, das heißt militärisch, humanitär und makroökonomisch zu unterstützen, damit sie diesen Krieg gewinnt“. Der Ukraine-Berichterstatter im Europäischen Parlament, selbst langjähriger EU-Parlamentarier, bewundert, wie motiviert dieser Staat seine Unabhängigkeit und Freiheit verteidigt, „die Russen müssen auch erkennen, dass sie Europäer sind und ein Umdenken nötig ist“.

Noch deutlicher wurde Generalmajor a.D. Walter Spindler, der den Krieg als eine verbrecherische Landnahme bezeichnete, „die mit allen Mitteln rückgängig zu machen ist“. Dazu bedürfe es jeglicher westlicher Hilfe für die Ukraine, auch mit schweren Waffen. „Gebt ihnen, was sie brauchen“, forderte der ehemals hochrangige Militärexperte. Und erinnerte, dass das größte Land der Erde sämtliche frühere Zusagen breche, außer den Atombombeneinsatz bisher. Einer, der lange im EU-Parlament saß und schon immer vor Putins Machtstreben warnte, ist Bernd Posselt. Der Präsident der Paneuropa-Union Deutschland sagte, der Ukrainekrieg wurde mutwillig von dem Kreml-Diktator entfesselt, weil er ein von Moskau gelenktes Eurasien von Wladiwostok bis Lissabon erreichen will, „wie er ganz offen zugibt“. Deshalb müsse er unbedingt durch eine Niederlage gestoppt werden. Und die Chancen dazu seien sehr groß, wie Posselt einschätzt, „weil die Ukrainer keinesfalls aufgeben werden und auf ihrem Boden hochkonzentriert weiterkämpfen“, während das russische Militär überhaupt keine Kampfmoral habe, da man sich im Unrecht wisse.

Ein interessanter Gesprächspartner war bei diesem Forum auch Dr. Ian-Tsing Josef Dieu, Generaldirektor der Taipeh-Vertretung in München. Der gelernte Jurist informierte erst, dass in seinem Heimatland Taiwan komplett die deutsche Rechtssprechung übernommen wurde, daher betrachte er die Demokratie auf der Insel im chinesischen Meer als Überlebensstrategie. Das gelte seiner Meinung nach auch für die Ukraine gegenüber Russland im Wettstreit der Systeme. „Der Verteidigungswille der Bevölkerung ist entscheidend und auch die entsprechende asymmetrische Strategie“. Taiwan habe ja mit den Chinesen ebenfalls einen aggressiven Nachbarn, der Anspruch auf sein Land erhebe. Wie gut die PEJ Deutschland sich politisch engagiert, spürte man auch durch ihren stellvertretenden Bundesvorsitzenden Frederik Ströhlein, bei dem die Moderation dieses schwierigen Themas in besten Händen lag.

Das Forum 2 hatte das Deutsch-Polnische Verhältnis zum Inhalt. Die Bandbreite „zwischen Freundschaft und Spannung“ wurde ausgelotet, wo Weronika Koston die deutsche Minderheit in Polen als Brückenbauer der beiden Staaten herausstellte. Die Vorsitzende dieser Organisation nannte zahlreiche Beispiele für die Zusammenarbeit, die Früchte trägt: Zweisprachige Ortsschilder, Jugendkonferenzen und Sportcamps. Es gebe aber immer noch eine Diskriminierung der Deutschen in Polen, verhehlte sie nicht. „Das ist traurig in einem freien Europa des 21. Jahrhunderts“ ergänzte dazu Moderatorin Isabella Schuster-Ritter, stellvertretende PEJ-Vorsitzende. Um versöhnlich hinzuzufügen, es sei dennoch in den letzten 30 Jahren eine gute Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen festzustellen.

Danach moderierte Schuster-Ritter ebenso routiniert das Forum 3 im Schlesischen Museum, das die „Nationalen Volksgruppen und Minderheiten als Reichtum Europas“ in den Blickpunkt stellte. Wo ersichtlich wurde, dass es fast keinen Staat in Europa gibt, in der keine Minderheit lebt. Und dass der Charakter eines Staates sich zeige, wie er mit ihr umgeht. Posselt: „In allen demokratischen Verfassungen haben die Minderheiten einen gewissen Rang, sie können Sprengstoff oder Zement sein“. Die jeweilige Sprache der Staatsbürger in Minderzahl zu schützen, sei daher eine gute Voraussetzung Frieden zu schaffen. „Volksgruppen hätten eine schlechte Lobby“, bedauerte Dawid Statnik, Vorsitzender des sorbischen Dachverbandes Domowina. Hier wünsche er sich mehr Rückhalt, kulturellen Besonderheiten sollte die nötige Aufmerksamkeit eingeräumt werden.

Zur Sprache kam im Rahmen dieses Forums auch die wiederkehrende Angst vor regelmäßigen Grenzkontrollen, sei es im Zug oder auf der Straße. Das dürfe es in einem freien Europa nicht mehr geben, so die einhellige Meinung.

Etwas abseits vom Thema meldete sich Stefan Richter aus Bautzen zu Wort. Der Landesvorsitzende  der Paneuropa-Union Sachsen nahm nochmals Bezug zum Krieg in der Ukraine in einer ebenfalls klaren Formulierung. „Meine Stadt war die Heimat eines berüchtigten Stasi-Sondergefängnisses, daher haben wir eine realistische Einschätzung, was in der Ukraine in den besetzten Gebieten passiert“. Ein „Einfrieren“ der Auseinandersetzung sei für ihn undenkbar, „weil nachvollziehbar ist, wie schlimm die Konsequenzen sind, wenn das bedrohte Land die Besetzung akzeptiert“. Deshalb müsse der Ukraine tatkräftig geholfen werden, um die Invasoren zurückzudrängen. Dann am Nachmittag und am Abend gelebtes Europa über Grenzen hinweg in der Doppelstadt Görlitz hüben und Zgorzelec (Görlitz auf Polnisch) drüben, nur durch die Lausitzer Neiße getrennt.

Beim Empfang im historischen Rathaus nannte Oberbürgermeister Octavian Ursu die östlichste Kommune Deutschlands, was Europa betrifft, nicht nur geografisch nah beieinander. Gemeinsame Projekte würden die „auch durch Hollywood-Stars bekannte Filmstadt“ und die Stadt jenseits des Flusses miteinander verbinden. Später hieß der polnische Oberbürgermeister Rafal Gronicz die Paneuropäer in der prächtig restaurierten Villatoro Willkommen, stellte seine Stadt vor und zeigte sich erfreut über das gute nachbarschaftliche Verhältnis.

Und man nahm diesen Abend zum Anlass, einen verdienten Paneuropäer zu ehren: Franziskus Posselt, langjährig engagiert für ein besseres Europa auf Nachwuchsebene, wurde für sein Wirken an der Spitze der Paneuropa-Jugend zum Ehrenmitglied der Paneuropa-Jugend ernannt. Eine besondere Note bekam der Paneuropäische Abend noch durch die Anwesenheit von Franz-Friedrich Prinz von Preußen aus dem Haus Hohenzollern. Der Urenkel des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. wusste die Zusammenkunft mit geschichtlichem Wissen und netten Anekdoten aus seinem Leben zu würzen. Es war der gelungene Abschluss eines dreitägigen Meetings, das Mut für ein geeintes Europa macht. Was bei den Paneuropa-Treffen nie fehlen darf, ist der christliche Gedanke, der in der gemeinsamen heiligen Messe in der Görlitzer Heilig-Kreuz-Kirche zum Ausdruck kam.

Von Kollegiumsmitglied Horst Wunner

Zu den Fotos: Starke Statements gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine (von links): Generalmajor a.D. Walter Spindler, Moderator stellvertretender PEJ-Vorsitzender Frederik Ströhlein, Europaabgeordneter Michael Gahler und Dr. Ian-Tsing Josef Dieu, Generaldirektor der Taipeh-Vertretung in München (oben).

Die Zukunft: Die paneuropäische Jugend, Franziskus Posselt wurde zum PEJ-Ehrenmitglied ernannt (Mitte).

Lockeres Gespräch: PEJ-Vorsitzender Christian Hoferer (links) und Franz-Friedrich Prinz von Preußen (unten, alle Fotos: Horst Wunner).

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