Posselt verteidigt Qualitätsjournalismus und öffentlich-rechtliche Medien / Kardinal Marx warnt vor identitärem Missbrauch der Religion

Von Moskau und Peking orchestrierte Desinformationskampagnen im Vorfeld der Europa- und der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen bedrohen in existenzieller Weise die Demokratie. Diese Ansicht vertrat beim 60. Andechser Europatag der Paneuropa-Union Deutschland, der unter dem Motto „Medien – Mittel zur Freiheit?“ stand, deren Präsident, der langjährige Europaabgeordnete Bernd Posselt. Vor diesem Hintergrund sei es „brandgefährlich, dass immer mehr Menschen unsere hochwertige Medienlandschaft in Frage stellen, aber jeden Unsinn glauben, den sie irgendwo im Netz finden.“ Deshalb dürften der öffentlich-rechtliche Rundfunk und der traditionelle Qualitätsjournalismus nicht verschwinden, sondern müssten gestärkt werden.

Posselt wandte sich jedoch gegen aktuelle Zentralisierungstendenzen in der ARD und plädierte im Gegensatz dazu für mehr Medien-Föderalismus. Wasserköpfe seien ab-, Länderanstalten hingegen in gesundem Wettbewerb zueinander auszubauen. Die demokratischen Parteien dürften weder Putin noch den Extremisten von der AfD die Lufthoheit in den so genannten Social Media überlassen. Gleichzeitig müssten sie aber die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen, inmitten einer immer hektischeren Nachrichtenflut klassischen Medien, die grundsätzliche Orientierung geben, eine tragfähige Zukunft zu sichern.

Bernd Posselt, Präsident der Paneuropa-Union Deutschland, interviewte Reinhard Kardinal Marx (Foto: Stefan Zwinge).

Kardinal Reinhard Marx bezeichnete die „christliche Idee, dass alle Menschen gleich an Würde sind und zu einer Familie gehören“, als Grundlage unserer europäischen Zivilisation. Deshalb hätte ein Verschwinden des christlichen Glaubens tiefgreifende Folgen für die Demokratie. Der Münchner Erzbischof nannte die Tendenz extremistischer Kreise, „das Christentum als Identitätsfloskel zu missbrauchen, erschreckend.“ Nationalismus sei unchristlich: „Dass wir eine einzige Menschheitsfamilie sind, ist ein Glaubenssatz, ein Dogma der Kirche. Wir sind alle Brüder und Schwestern, die einen gemeinsamen Vater im Himmel haben.“ Es sei die Aufgabe aller Religionen, sich gemeinsam gegen Krieg und Gewalt zu wenden. Unter Verweis auf die explosive Lage im Nahen Osten betonte er: „Frauen und Kinder massakrieren und dazu ‚Gott ist groß’ rufen ist Blasphemie.“

Europa lebe in einer Zeit des Umbruchs wie im 16. Jahrhundert. Deshalb gelte es neu die befreiende universalistische Kraft des Evangeliums zu entdecken, „die auch mich nach vielen Jahrzehnten immer wieder überrascht.“ Nicht nur die Zehn Gebote und die Bergpredigt seien wesentliche Grundlagen der europäischen Kultur, sondern auch die Schöpfungsgeschichte. Der Kardinal wandte sich gegen Materialismus und Kapitalismus und sprach sich für eine Erneuerung Europas auf der Grundlage einer Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft im Sinne der Katholischen Soziallehre aus. 

Sebastian Sasse, leitender Redakteur für Politik und Wirtschaft der katholischen Zeitung „Die Tagespost“, stellte sich im Lichte der modernen Mediengesellschaft der Pilatusfrage „Was ist Wahrheit?“ Pontius Pilatus sei der Archetyp eines überforderten Entscheidungsträgers. Die berühmte Frage habe einerseits eine relativierende Dimension; in ihr stecke aber auch ein Hilferuf, die Sehnsucht nach einer überzeugenden Antwort, was die Wahrheit sein kann. Bei der Wahrheitssuche falle den Medien die Rolle eines Navigationssystems zu. Journalisten und Redaktionen müssten ehrlich sein, was ihre Grundhaltung angehe, die sie nicht verschleiern dürften, sowie objektiv und handwerklich gut, was das Recherchieren von Fakten betreffe. Sasse warnte vor einem „politischen Tribalismus“, in dem jeder nur zur Kenntnis nehme, was seiner jeweils speziellen Auffassung entspreche, sich also überhaupt nicht mehr mit anderen Ansichten und weltanschaulichen Milieus auseinandersetze.  

Paneuropa-Vizepräsident Dirk Hermann Voß als erfahrener Medienanwalt und Verfassungsrechtler skizzierte die rechtlichen Grundlagen sowohl der Pressefreiheit als auch des Persönlichkeitsschutzes, die miteinander sehr häufig in einem Spannungsverhältnis stünden. Die EU-Grundrechtecharta etwa gehe von der unantastbaren Würde des Menschen, von der Freiheit des Einzelnen, von der Achtung der Privatsphäre und des Familienlebens, vom Datenschutz sowie von der Meinungs- und Informationsfreiheit aus. Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes des Europarates in Straßburg hätten immerhin eine völkerrechtlich bindende Wirkung, Urteile des Europäischen Gerichtshofes der EU in Luxemburg und des Bundesverfassungsgerichts wirkten aber unmittelbar. Die Rechtsprechung in Deutschland und in der EU entwickle den Persönlichkeitsschutz systematisch weiter, weshalb es sich lohne, bei der Verletzung grundlegender Rechte juristische Schritte zu unternehmen. Gegendarstellungen nach dem klassischen deutschen Presserecht seien hingegen weitgehend wirkungslos. 

Bischof Komarica aus dem bosnischen Banja Luka und der erfahrene Balkan-Journalist Klaus Prömpers (Foto: Stefan Zwinge).

Der langjährige ZDF-Korrespondent in Bonn, Brüssel, Wien und New York, Klaus Prömpers, bejahte die Tatsache, dass die so genannten Social Media so etwas wie ein digitales Schlachtfeld seien. Dort verbreitete Behauptungen und Bilder trügen zur Radikalisierung der Politik sowie zur Verschärfung kriegerischer Auseinandersetzungen bei, wenn sie sich nicht innerhalb eines vernünftigen ethischen und gesetzlichen Rahmens bewegten. Er lobte die vorhandene Gesetzgebung der EU sowie die intensiven Bemühungen, sie weiter zu entwickeln. Demokratische und rechtstaatliche Institutionen in Europa dürften sich nicht durch willkürliche Beschlüsse von US-Monopolisten aushebeln lassen. Prömpers legte eindrucksvolle Zahlen vor, wie sehr die Ablenkung durch Handies während des Unterrichts zum Konzentrationsabfall bei Schülern führe. Seit einige Staaten die Handynutzung in der Schule untersagt hätten, steige dort wieder die Leistungsfähigkeit der Jugendlichen.

Ulrich Bobinger, lange Zeit als Reporter in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs, ist heute Pressesprecher und Medienverantwortlicher des Bistums Augsburg. Er stellte energisch in Abrede, dass Medien und Kirchen einander unversöhnlich gegenüberstünden. Vor allem die lokale und regionale Presse, die die große Masse der Medienkonsumenten erreiche, sei ausgesprochen interessiert an kirchlichen Aktivitäten und berichte objektiv darüber. Seiner Ansicht nach gebe es nur sehr wenige Journalisten und Medien, die eine bestimmte ideologische oder politische Agenda verfolgten. Die meisten seien bestrebt, ihr Handwerk gut zu machen, und übten eine wichtige gesellschaftliche Kontrollfunktion auch gegenüber den Kirchen aus: „Wir irren uns manchmal, es gibt auch schwarze Schafe, aber grundsätzlich sind Journalisten Mitarbeiter der Wahrheit.“ Das Produkt, für das die Kirche stehe, sei „das Geschenk einer Liebe, die nicht menschengemacht ist, mit unendlicher Garantie. Dafür lohnt es sich, auch mal negative Berichterstattung auszuhalten.“ Zum Abschluss richtete er an die Anwesenden die Aufforderung, Anlässe zur Berichterstattung zu bieten: „Die Paneuropa-Union lebt ja vom Geist des Abendlandes, von der Kraft und Schönheit des Glaubens.“

Paneuropa-Bundesgeschäftsführer Johannes Kijas würdigte in seiner Begrüßung die Tatsache, dass der Europatag zum 60. Mal auf Kloster Andechs stattfand: „Seit dreißig Jahren treffen wir uns hier im Frühling und im Herbst.“ Pater Valentin Ziegler OSB dankte als Vertreter des Klosters dafür, „dass Sie immer wieder auf den Heiligen Berg kommen und sich darüber Gedanken machen, was es heißt, ein Europa zu gestalten, das in Freiheit unterwegs und zugleich regional ausgerichtet ist – so, dass wir spüren, wir gehören zusammen, und doch jeder weiß, er darf in seiner Landschaft so sein, wie er ist.“ In diesen sehr eigenen Zeiten mit Krieg, Flucht und Elend seien gerade Christen dazu gerufen, nicht auszuweichen, sondern sich den Herausforderungen zu stellen. 

Höhepunkt des Europatages war ein Gottesdienst in der Andechser Wallfahrtskirche, den Bischof Franjo Komarica von Banja Luka, der Vorsitzende der bosnisch-herzegowinischen Bischofskonferenz, zelebrierte. Bischof Komarica errichtet derzeit in seiner Heimat ein paneuropäisches Zentrum, das im ehemaligen Trappistenkloster Mariastern auf der Basis der Menschenrechts- und der Friedensidee Christen aller Konfessionen, Juden und Muslime im Dialog zusammenführen soll.

Bischof Franjo Komarica zelebrierte am Sonntag den Festgottesdienst zu Ehren der Heiligen Hedwig in der Andechser Wallfahrtskirche (Foto: Stefan Zwinge).

Das abschließende Podium „Überlebt unser demokratisches Europa die Mediengesellschaft?“ moderierte Christian Hoferer, der Bundesvorsitzende der Paneuropa-Jugend. Er erinnerte an die „freien, aber nicht fairen“ Wahlen in Polen, die Spaltung der Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten „auf dem Schlachtfeld der sozialen Medien“, die sogar den Wahrheitsbegriff in Frage stelle, und die russische Propaganda, die sich anschicke, massiven Einfluss auf die anstehenden Europawahlen zu nehmen. „In unserer Zeit, die man als Medienzeitalter bezeichnen kann, verändert sich das Menschenbild und das menschliche Fühlen und Denken. Das hat natürlich Auswirkungen auf unsere Demokratie.“

Bischof Komarica befand, Medien sollten sich objektiv in den Dienst an der Wahrheit und der Gerechtigkeit stellen und aufbauend wirken. Er unterstrich dies mit seinen Erfahrungen aus dem kommunistischen Jugoslawien, wo er erlebt habe, „was Medien anrichten können, wenn sie in den Händen skrupelloser Machthaber sind.“ Besonders im Krieg habe man sie „wie Waffen ausprobiert, wie weit sie schießen und welche Zerstörung sie bewirken können“. Man habe Stimmungen erzeugt, die „für uns zu Fragen von Leben oder Tod oder Vertreibung“ wurden. Viele der damaligen Journalisten und Redakteure und ihre gelehrigen Schüler seien heute noch tätig. So sei der Besuch des Hohen Beauftragten Christian Schmidt bei Bischof Komarica im Europa- und Dialogzentrum Mariastern, den dieser trotz Drohungen des Machthabers der serbischen Teilrepublik Bosniens, Milorad Dodik, durchgeführt habe, kommentiert worden: „Der deutsche Nazi Christian Schmidt besuchte den katholischen kroatischen Nazi Bischof Komarica.“ Als Gegenbeispiel nannte er eine Vertreterin des Fernsehens der Republika Srpska, die als gläubige serbisch-orthodoxe Christin fair, freundlich und ausführlich über die Reste der katholisch-kroatischen Bevölkerung und auch andere Glaubensgemeinschaften berichte. Den Paneuropäern dankte der Bischof, „dass Sie die Courage haben, über die Grenze der EU auch unsere Situation zu sehen, weil auch wir glauben, dass wir zu Europa gehören“.

Die tschechische Starjournalistin Ludmila Rakušanová befand, dass in der Tschechischen Republik, im Gegensatz zu Polen und Ungarn, „die öffentlich-rechtlichen Medien wirklich eine gute Figur machen.“ Nach ihrer früheren Zeit als Redakteurin von „Radio Free Europe“ befragt, antwortete sie: „Das war eine völlig andere Zeit.“ Angesichts der totalitären kommunistischen Sowjetherrschaft „konnte man nicht verwirrt sein: Es war klar, was schlecht und was gut ist.“ Von den Entwicklungen im freien Teil Europas schätze sie in Deutschland besonders die Soziale Marktwirtschaft, weil sie versucht habe, „die Schere zwischen Reich und Arm zu schließen“. Diese würde sich zur Zeit wieder weiter öffnen, und die Soziale Marktwirtschaft schwinde seit dem Anfang der neunziger Jahre dahin und sei schon fast verschwunden.  

Andreas Bönte, stellvertretender Programmdirektor Kultur beim Bayerischen Fernsehen/ARD-Alpha, arbeitete als zentrale Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Medien heraus, „Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in einer Gesellschaft zu orientieren“, und für das „Ausleuchten von Hintergründen“ zu sorgen. Dies sei notwendig, damit „die Menschen wieder Lust an der Demokratie bekommen.“ Die gegenwärtige Gesellschaft sei nämlich hoch kompliziert, und viele „springen auf Parolen sofort auf, weil sie die Zusammenhänge nicht kennen.“ Die Streichung von Ausgaben für Politische Bildung durch die Bundesregierung bezeichnete er als „Katastrophe.“ Schon heute wüssten 65 Prozent der Menschen in Bayern nicht, was der Landtag ist.

Den Vorwurf der Einseitigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien beantwortete er mit dem Hinweis, man könne es nicht allen recht machen. Leider melde sich das Publikum meist nur, wenn „etwas nicht gefällt“, sodass wieder für die Kritisierten ein einseitiges, durchaus psychisch belastendes Bild entstehe. Für eine bestimmte Sendung mit eher konservativer Ausrichtung habe er „waschkorbweise Kritik“ geerntet. Die Rundfunkgebühren verteidigte er damit, dass die Alternative ein mit Steuermitteln finanzierter Staatsfunk sei: „Es gibt Länder, wo der Intendant vom Parlament gewählt wird.“

Auch Steffen Hörtler, stellvertretender Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft, fand „die Form des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland besonders gut, weil er frei ist von politischer Einflussnahme. Wir müssen aufpassen, dass er die Akzeptanz behält.“ Er schilderte die Arbeit des ZDF-Fernsehrats, eines Gremiums von 60 Personen mitten aus der Gesellschaft, etwa von Kirchen und Verbänden. Er selbst sitze dort für den Bund der Vertriebenen. Der Fernsehrat habe die Aufgabe, die Einhaltung der Richtlinien in Bezug auf das Programm zu überwachen und Fragen zu stellen wie „Warum hat man das so gebracht?“ und „Warum hat man den Schwerpunkt dort und nicht hier gesetzt?“. Dazu gehöre auch die Bearbeitung von Programmbeschwerden. Er finde sich mit seiner konservativeren Meinung zwar nicht immer wieder, aber was man sage, werde doch aufgenommen, etwa wenn er eine stärkere Beachtung Mittel-Osteuropas anmahne. Die Gebühren befand er ein „gutes System“ – in anderen Ländern Europas werde der Rundfunk aus der Staatskasse finanziert, was Abhängigkeit bewirke und eine solide Planung erschwere. Außerdem entspreche der Gebührenanteil, der auf das ZDF entfalle, „einer halben Kinokarte“ – was nicht viel sei für einen Monat Fernsehen.

Stephen A. Sikder, Schauspieler und Casting-Director in der Kino- und Fernsehfilmproduktion, hob die Wichtigkeit der Unterscheidung hervor: „Wir werden zugeballert mit Informationen, zu kurz kommt die Wissensvermittlung und die Animation der jungen Generation, sich auseinanderzusetzen und Meinungen zu bilden“. Er sei stolz und gerührt gewesen, als sein Sohn mit dem Kommentar „Ich ertrag’s nicht“ Tiktok von seinem Handy gelöscht habe. „Wir brauchen Stabilität. Die Medien haben die Aufgabe, Anker zu sein für Pluralismus, Demokratie, Wissen und Wahrheit.“ Darum hätten sich die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg bemüht. Für ihn seien Fernsehen und andere Medien, „die wir als Bewegtbild aufnehmen“, ein Lebensmittel. Wie Essen und Trinken solle auch das, „was wir intellektuell, kulturell, religiös zu uns nehmen“, „nicht krank machen und keine Gifte enthalten“. Das gelte nicht nur für Information, sondern mindestens ebenso für den Bereich, in dem er „vor und hinter der Kamera arbeite“, nämlich Fiktion und Unterhaltung. Diese vermittle nämlich Leitbilder, Vorbilder und das Gegenteil, und der Betrachter entwickle daraus Gefühle und Haltungen. Sikder plädierte deshalb leidenschaftlich dafür, auch die Unterhaltung weiterhin zum kulturellen Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien zu zählen.

Von Stephanie Waldburg, Paneuropa-Union

Zum Foto: Podiumsdiskussion mit (von links) Andreas Bönte, Ludmila Rakušanová, Christian Hoferer, Bischof Franjo Komarica, Stephen A. Sikder und Steffen Hörtler (Foto: Johannes Kijas)

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