Mit welch anspruchsvollen, ja nahezu philosophischen Gedanken sich die Paneuropa-Union Deutschland bei den schon legendären Andechser Europatagen beschäftigt, dokumentierte das 58. Treffen im Saal des Klostergasthofes hoch oben über dem Ammersee. Ein Wochenende stand die Kommunikation über Ländergrenzen hinweg im Fokus, und wie man Brücken bauen kann durch die richtigen Formulierungen, Aussagen und mit Empathie. Das Thema hieß dann auch treffend „Bleibt Europa sprachlos?“, es mündete in der Hoffnung Barrieren abzubauen durch mehr Verständnis für die Individualität des Wortes.
Und dazu hatte Paneuropa illustre Gäste eingeladen, denen die Sprache Lebensinhalt und Lebensaufgabe geworden ist. Wie den emeritierten Abtprimas Notker Wolf, der die Vielfalt der Sprache beschwor als Mittel zur eigenen Identität. Eigenständiges Denken gebe ein Stück Selbständigkeit, „wir brauchen aber auch Gelassenheit im Umgang miteinander in Europa, dürfen nicht alles zu ernst nehmen“, sagte der Bestsellerautor, Rockmusiker und Benediktiner. Er wende sich strikt gegen eine geistige Gleichschaltung durch identitäre Kräfte, beklagte, dass es in Deutschland kaum noch eine Debattenkultur gebe. Und prangerte die Arroganz zeitgeistiger Betrachtungsweisen an, etwa bei der Gendersprache. Wolf mahnte zu einer klaren und deutlichen Aussage, auch wenn sie auf Widerstand stoße. Gerade Jesus von Nazareth sei hier eine geschichtliche Figur, die der ungeschminkten Wahrheit folgte und gegen jedwede Heuchelei gewesen sei.
Der emeritierte Abtprimas Notker Wolf, Bestsellerautor und Benediktiner.
Während Pater Valentin Ziegler vom Kloster Andechs forderte, sich nicht sprachlos in die Ecke zu stellen, schwarz-weiß zu denken, sondern den Dialog zu suchen. „Das Jahr 2022 hat uns in gewissen Bereichen aber sprachlos gemacht, Dinge, die wir überwunden zu haben glaubten, sind zurückgekehrt“. Russische Soldaten würden in einen Krieg ziehen, von dem sie nichts wissen, weil die Kommunikation fehle. Laut Professor Veit Neumann ist die sprachliche Vielfalt für die Kultur ganz wesentlich. Sie sei nicht trennende Denkgrenze, vielmehr ein verbindender Übergang. Der Theologe, Chefredakteur der Zeitschrift „Academia“ und Mitglied der Sudentendeutschen Akademie der Wissenschaft und Künste, nannte Paneuropa eine interdisziplinäre Institution, was ihre Betrachtungsweise betreffe, „das ist gerade auf unserem Kontinent ein Weg, der eint“.
PEJ-Vorsitzender Christian Hoferer (links) im Gespräch mit Professor Veit Neumann
Und Udo Büx, Leiter der Vertretung des Europäischen Parlaments in München, findet in der Sprachenvielfalt einen Vorteil, „Europa wird dadurch schöner und attraktiver“. Jeder Europäer könne sich in seiner Sprache an das EU-Parlament wenden in Straßburg und Brüssel, was für ihn Sicherheit in der Aussage bedeute. Die Menschen hätten dann das Gefühl, „die EU ist ein Stück von mir und ich bin Teil der EU“. Ein Hindernis sei sicherlich die große geografische Distanz zwischen den Azoren und Kreta bis hinauf nach Brüssel, da bleibe Europa manchmal tatsächlich sprachlos. Beispielsweise in der Außenpolitik. Jedoch gebe Europa auf die meisten Fragen vernünftige Antworten.
Udo Büx, Leiter der Vertretung des Europaparlaments in München
Ein großes Diskussionsforum gab dem Sonntag das Prägende mit der Blickrichtung „zum Neustart Europas in den Stürmen der Weltgeschichte“. Wo prominente Redner wie Professor Roland Minnerath, emeretierter Erzbischof von Dijon; Ludmilla Rakušanová, führende Kommentatorin im Tschechischen Rundfunk und frühere Redakteurin von Radio Freies Europa in München; Benedikt Steinschulte, langjähriger Medienexperte im päpstlichen Medienrat und in politischen Institutionen; Professor Carlos Uriarte Sánchez, Generalsekretär der Paneuropa-Union Spanien, und EU-Parlamentsmitglied Angela Niebler nachdenkenswerte Thesen zum Thema in den Raum stellten. Letztere rief dazu auf, trotz aller Streitereien das Positive zu sehen, die Europäer auf eine Linie zu bringen und die richtigen Lehren aus Weltereignissen zu ziehen. Eine Hommage sandte sie an die Paneuropa-Union Deutschland, „Danke, es sind Menschen wie Sie, die den europäischen Gedanken weitertragen“.
Illustre Gesprächsrunde (von links): Prof. Dr. Angelika Niebler, MdEP; Ludmila Rakušanová, führende Kommentatorin im Tschechischen Rundfunk; Moderator Franziskus Posselt; Professor Roland Minnerath, emeritierter Erzbischof von Dijon; Professor Carlos Uriarte Sánchez, Generalsekretär der Paneuropa-Union Spanien; Benedikt Steinschulte, langjähriger Medienexperte im Päpstlichen Medienrat.
Der Erzbischof beschwor zudem den Spirit von Europa, ein Menschenbild ohne reinen Materialismus, während Rakušanová davon „träumte“, wie sich die Krise als Chance erweisen könnte. Ein eher düsteres Bild von Europa malte Steinschulte, „es kommen enorme Belastungen auf uns zu, wir stehen vor gigantischen Herausforderungen bei einem Neustart Europas“. Die fundamentalen Meinungsverschiedenheiten in der EU sah er sehr kritisch, „man müsse die beschreiben und nicht wegdenken“. „Es sieht derzeit nicht gut aus für Europa, tut mir leid“, sagte lakonisch Moderator Franziskus Posselt, der Ehrenvorsitzende der Paneuropa-Jugend Deutschlands, zu diesen Ausführungen. Sánchez bat noch um Wiederentdeckung und Pflege der europäischen Werte, „die hier in Andechs sichtbar wurden“.
Nicht fehlen durfte im Kreis der Insider eine starke Stimme, die Gewicht hat: Bernd Posselt, Präsident der Paneuropa-Union Deutschland. Ihm gefalle Vielsprache, sie sei intellektuelle Bereicherung, wenn man sie beherrsche. Klare Begriffe würden Nähe stiften, so lege die Europäische Grundrechtecharta mit verständlichen Worten europäische Werte fest. Eigentlich sollte auch ein Fachvortrag zu „Wie verständigen sich Tiere?“ stattfinden, der jedoch ausfallen musste. Alleskönner Posselt sprang in die Bresche und erzählte Interessantes vom Verhaltensforscher Konrad Lorenz, den er noch persönlich kannte. Warnte vor der Vermenschlichung der Tiere, sie besäßen jedoch viele Möglichkeiten, Gefühle auszudrücken. Wir vom EUROjournal fragten ihn auch, was ihn im Herzen bewege, wenn er an das in diesem Jahr vielfach gefeierte 100-jährige Jubiläum von Paneuropa denke. „Paneuropa ist Gott sei Dank bis heute eine kämpferische und junge Bewegung geblieben, der die Aufgaben nicht ausgehen“. Als Beispiele nannte er den Ukrainekrieg, die Krise Europas, den Nationalismus. „Um das zu bekämpfen, brauchen wir die volle Kraft, viele neue Mitglieder und massive Unterstützung ideeller und materieller Art“.
Paneuropa-Union Deutschland-Chef Bernd Posselt mit wortstarken Beiträgen
Schöne Aufhellung der zwei Tage durch einen „musikalischen Balkan-Dialog“ mit Sängerin Nejva Brka und der Band Ferhatović. Da wurde erneut die kulturelle Vielfalt Europas deutlich. Und im Gegensatz dazu gab es ja noch die Andacht in der Klosterkirche, Balsam auf manche durch die Kriegsereignisse geschundene Seele. Schließlich noch zwei positive Stimmen aus dem Zuhörerkreis. Matthias Meyer-Eschenbach, seit 1987 Mitglied bei Paneuropa und ehemals Vorsitzender der Paneuropa-Jugend von Rheinland-Pfalz: „Ich mag diese Friedensbewegung, weil ich dort sehr interessante und kompetente Menschen treffe, die mir Anregungen geben und die Möglichkeit, direkt mit der Politik Kontakt aufzunehmen“.
Der „musikalische Balkan-Dialog“
Der frühere Bankdirektor Walter Knoch aus Coburg, das ja Jahrzehnte ganz nah an der Grenze mitten durch Deutschland lag, wurde durch eine Rede von Otto von Habsburg in den 80er Jahren auf Paneuropa aufmerksam. „Die Ideen und Überlegungen zu einem friedlichen und freiheitlichen Europa sowie das Gedankengut zur deutschen Wiedervereinigung haben mich begeistert als einem Überzeugten des christlichen Glaubens und Gegner des nationalistischen Gedankengutes. In der Folge wurde ich auch Mitglied“. Die im Bamberger Programm niedergeschriebenen Grundsätze, die Europa als Wertegemeinschaft sehen und sich für Menschenrechte stark machen, hätten ihn zu einem überzeugten Europäer werden lassen. Fazit: Die Paneuropa-Union Deutschland vertraut trotz aller Unkenrufe auf eine gute Zukunft!
Von Kollegiumsmitglied Horst Wunner