Er fühle sich jetzt so richtig in seiner neuen Heimat angekommen, verriet die Hauptperson eines Empfangs der Stadt Regensburg, kürzlich im Saal der Städtischen Musikschule am Bismarckplatz. Die Rede ist von Ernst Grube, dem Präsidenten der Lagergemeinschaft Dachau und Kuratoriumsvorsitzenden der Stiftung Bayerische Gedenkstätten.

Die Nachfeier des am 13.12.2022 vollendeten 90. Lebensjahrs Grubes war Anlass der Zusammenkunft von Gästen aus nah und fern, darunter auch einigen Münchner Weggefährten und weit darüber hinaus. In der Landeshauptstadt Bayerns war der Jubilar wenige Wochen zuvor u.a. zusammen mit der Filmemacherin Doris Dörrie zum Ehrenbürger seiner Geburtsstadt ernannt worden. Zahllose weitere Ehrungen hatte der unermüdliche Zeitzeuge der Verbrechen des NS-Regimes bereits zuvor erhalten, etwa den Bürgerpreis Demokratie (2021), den Georg-Elser-Preis (2017) oder die Medaille „München leuchtet“ (2002). Seit etwa zehn Jahren lebt der zurückhaltende und dennoch stets Klartext sprechende Senior zusammen mit seiner Frau Helga Hanusa in der Donaustadt Regensburg. Diese ließ, angeführt von ihrer Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer den „Shoa Überlebenden und derzeitigen Präsidenten der Lagergemeinschaft Dachau e.V.“ hochleben.

Gleich in mehrfacher Hinsicht gehörte Ernst Grube bereits ab seinem dritten Lebensmonat zu einer verfolgten Minderheit inmitten seiner Heimatstadt München – die Mutter Jüdin, der Vater Kommunist. Nach dem Abbruch der Münchner Hauptsynagoge 1938 (bereits einige Monate vor der Reichspogromnacht) und der Entmietung des in erster Linie von Menschen jüdischen Glaubens bewohnten Straßenzugs begann die Leidenszeit der Familie Grube. Die fünfköpfige Familie wurde auseinandergerissen, die Kinder Ruth, Werner und Ernst in einem jüdischen Kinderheim untergebracht. Der Umstand, dass die Kinder als „Halbjuden“ galten, bewahrte sie vor der Deportation nach Kaunas, wohin die ersten Vernichtungszüge mit Münchner Juden ab 1941 führten. Für den kaum zehn Jahre alten Ernst Grube und seine Geschwister ging es anschließend in das so genannte „Judenlager Milbertshofen“, ein Ort, der den Grubes, wie der Jubilar erzählte, mindestens genauso schrecklich in Erinnerung haften blieb wie die letzten Monate des Krieges, die die drei Kinder und ihre Mutter im Ghetto Theresienstadt überlebten. Die Tanzpädagogin und Choreografin Dorothee Janssen vom Münchner inklusiven Jugendprojekt „Always remember. Never forget“ war nach Regensburg gekommen, um über ein Projekt zu berichten, zu dem Ernst Grube einen wesentlichen persönlichen Beitrag geliefert hatte. In Zusammenarbeit mit dem NS-Dokumentationszentrum München, deren Leiterin Mirjam Zadoff per Videobotschaft ebenfalls am Ehrenabend teilnahm, haben sich die am Projekt beteiligten Jugendlichen intensiv mit dem einstigen „Judenlager“ in Milbertshofen auseinandergesetzt, dieses nachgestellt (heute befindet sich auf dem Gelände ein Verwaltungsgebäude eines großen Konzerns) und eine Tanzchoreographie erarbeitet. Im Jahr 2023 ist eine Kooperation mit einer Jugendgruppe aus Kaunas in Litauen geplant, wo in einer ersten Deportationswelle 1000 Münchner Jüdinnen und Juden von den Nationalsozialisten ermordet worden waren.

Wurde per Videobotschaft zugeschaltet: Mirjam Zadoff, die Leiterin des NS-Dokumentationszentrums München

Für die Jüdische Gemeinde Regensburg sprach deren Vorsitzende Ilse Danziger, dass Ernst Grube als Präsident der „Lagergemeinschaft Dachau“ (in Nachfolge des 2016 verstorbenen Max Mannheimer) auch enge Kontakte zum Verband deutscher Sinti und Roma pflegt, belegte die Anreise dessen Landesvorsitzenden Erich Schneeberger, der Grube für die Unterstützung und Freundschaft dankte und unter anderem darauf hinwies, dass die Väter beider Männer gebürtige Ostpreußen gewesen waren.

Den Reigen der illustren Gratulanten rundeten zwei Wegbegleiter Grubes ab, die anlässlich dessen 90. Geburtstags Ende 2022 zusammen mit Mirjam Zadoff auch ein Buch veröffentlichten mit dem Titel „Aus der Erinnerung für die Gegenwart leben“: Prof. Dr. Matthias Bahr und Peter Poth. Ersterer, Leiter des Zentrums für Menschenrechtsbildung an der Universität Koblenz, würdigte insbesondere Grubes Rolle als „Menschenrechtsbildner, Zeitzeuge und Kommunist“, der nicht nur ein glaubwürdiger Zeuge der Verfolgung durch das Nazi-Regime sei, sondern bis zum heutigen Tage das Wort ergreift, wo immer er Unrecht wahrnimmt. Gerade er, als katholischer Theologe könne sich mit dieser Art von Kommunismus sehr gut identifizieren, sorgte Professor Bahr augenzwinkernd für gute Stimmung unter den Anwesenden. Nicht überall und zu allen Zeiten fand das politische Bekenntnis, dem Ernst Grube in der Tradition seines Vaters stets treu blieb, in den letzten Jahrzehnten Zuspruch. So bekam er die Gewalt der Sicherheitsbehörden hautnah zu spüren, als er in den 1950er Jahren gegen die deutsche Wiederbewaffnung demonstrierte, später wurde der Berufsschullehrer Ernst Grube vorübergehend im Zuge des „Radikalenerlasses“ aus dem Dienst entlassen. Heute sind diese Zeiten vorbei, Ernst Grube auch in Staats tragenden Gremien wie dem Kuratorium der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, dem er vorsitzt, ein angesehener Gesprächspartner über Parteigrenzen hinweg.

Noch wichtiger ist dem 90jährigen Regensburger aber der Austausch mit jungen Menschen, wie zahlreiche Besuche in Schulen beweisen. Diesen Bereich repräsentierte Gymnasiallehrer und Publizist Peter Poth, der die Wirkung des Jubilars auf viele Jugendliche aus nächster Nähe immer wieder beobachten konnte. Mitglieder des Schulorchesters des Regensburger Werner-von-Siemens-Gymnasiums sorgten denn auch für die musikalische Untermalung des Festakts. Mit dem Wunsch nach einem baldigen Schweigen der Waffen in der Ukraine endete der kurzweilige Empfang für Ernst Grube, der leise in den stillen Raum sprach: „Wir brauchen doch Frieden, Freunde!“

Vom Leiter der Chefredaktion Prof. Dr. Wolfgang Otto     

Zum Foto oben: Regensburgs Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer begrüßte die zahlreichen Gäste, die der Einladung zum Empfang für Ernst Grube (auf dem Bild im Hintergrund) gefolgt waren (Fotos: Wolfgang Otto)    

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