Als vor 15 Jahren die Behörden der mehrheitlich albanisch besiedelten südserbischen Provinz Kosovo-Metohija die Unabhängigkeit der „Republik Kosovo“ erklärten, stieß dies in Westeuropa vielfach, wenngleich keineswegs flächendeckend auf Zustimmung, sehr viel weniger jedoch in anderen Weltregionen. Der territorialpolitische Konflikt zwischen Belgrad und Pristina wurde hierdurch – bis heute – nicht gelöst.

Auf die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Februar 2008 reagierte die Republik Serbien prompt: Die (ethnisch-albanische) politische Führung der Sezessions„republik“ habe sich – so das serbische Innenministerium – einer schweren Straftat gegen die Verfassung Serbiens und die Sicherheit des Landes schuldig gemacht, weshalb namentlich „Ministerpräsident“ Thaçi, „Präsident“ Sejdiu und „Parlamentspräsident“ Krasniqi wegen Hochverrats angeklagt wurden. Des Weiteren berief Serbien seine Botschafter aus all jenen Staaten zurück, die die „Republik Kosovo“ offiziell anerkannt hatten, deren Territorium aus 15 Prozent des serbischen Staatsgebietes besteht. Dies betraf auch die diplomatischen Beziehungen zwischen Serbien und Deutschland.

Die USA galten (und gelten) den Kosovo-Albanern (und nicht nur diesen) als der eigentliche Garant ihrer „Staatsgründung“, allerdings gehörten auch Deutschland und Frankreich zu den weltpolitisch gewichtigeren Vorreitern einer Politik der Abspaltung des Kosovo von Serbien. Paris hatte bereits unter Staatspräsident Chirac mit seiner „pro-serbischen“ Jugoslawien-Politik gebrochen, in deren Zentrum unter Chiracs Amtsvorgänger Mitterrand der Versuch gestanden hatte, einer Zerstückelung Jugoslawiens entgegenzuwirken. So kam Frankreich mit seiner Anerkennungserklärung, die es als erster Staat innerhalb der EU abgab, selbst Deutschland noch zuvor. Demgegenüber standen (und stehen) so unterschiedliche politische Gemeinwesen wie Russland, die Ukraine, Israel, Iran, Kasachstan, China, Indien, Sri Lanka oder Indonesien einer völkerrechtlichen Anerkennung des Kosovo ablehnend gegenüber. Innerhalb der EU waren es in erster Linie Spanien, Griechenland, Zypern, die Slowakei und Rumänien, die erklärtermaßen die Warnungen Serbiens vor einem Umsichgreifen der Nichtbeachtung völkerrechtlicher Normen in „ethnisch“ aufgeladenen territorialpolitischen Konflikten teilten. Diese fünf EU-Mitgliedstaaten halten bis heute an der Nichtanerkennung des Kosovo fest, die sich aus der Respektierung der territorialen Integrität Serbiens ergibt.

Wie wenig jedoch in Serbien die Abspaltung des Kosovo als eine rein „juristische“ Frage begriffen wurde, die (neben den dafür zuständigen Behörden) ausschließlich die unmittelbar Betroffenen – so die Hunderttausende vertriebener Kosovo-Serben – tangiere, führten die serbischen Demonstrationen in den Tagen nach der „kosovarischen“ Unabhängigkeitserklärung eindrucksvoll vor Augen. Nicht nur innerhalb der Grenzen der Republik Serbien, sondern auch in der bosnisch-serbischen Republik Srpska und in Montenegro fanden Protestveranstaltungen statt. Die Proteste erreichten am 21./22. Februar ihren Höhepunkt in einer Großdemonstration in Belgrad, an der allein 200.000 bis 500.000 Menschen teilnahmen. „Niemals hat sich deutlicher gezeigt, warum Serbien bestialisch von Nato-Bomben zerstört wurde“, so hatte der serbische Ministerpräsident Kostunica bereits unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung der Kosovo-Albaner diesen Akt der Gründung eines „falschen Staates“ kommentiert. Dass die Proteste gegen die Teilung Serbiens von einem nicht unbeträchtlichen Teil der serbischen Jugend getragen wurden, führte vor Augen, dass die Kosovo-Politik des politischen „Europa“ auch in einer Generation, die den Bombenkrieg gegen Jugoslawien 1999 noch nicht politisch bewusst mitverfolgte, als ein fortgesetzter Angriff auf Serbien in seiner Gesamtheit angesehen wurde.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kam nicht umhin, die Kundgebung in Belgrad für die territoriale Einheit Serbiens mit dem 5. Oktober 2000 zu vergleichen, als die Regierung Milosevic gestürzt wurde. „Doch auch wenn sich die Bilder gleichen mögen, an diesem Abend ist es anders. Damals hatten die Serben ihre Geschichte in der Hand, jetzt hat ihre Geschichte sie in der Hand.“ (FAZ, 23.2.2008) Wieder einmal wurde hier von deutscher Seite den Serben, die kein Verständnis für die „Notwendigkeit“ einer „Legalisierung“ der albanischen Landnahme im serbischen Herzland Kosovo-Metohija (Kosmet) aufzubringen vermögen, bescheinigt, als politische Romantiker dem „Mythos“ verhaftet zu sein, der mit der serbischen Niederlage gegen das Osmanische Reich auf dem Amselfeld (= Kosovo Polje) 1389 verbunden ist. Polemiken dieser Art beruhten auf der systematischen Ausblendung der Tatsache, dass der serbisch-albanische Antagonismus im Kosmet – weit davon entfernt, das Produkt eines auf „1389″ fixierten archaischen serbischen Chauvinismus zu sein – ein Kontinuum der modernen serbischen respektive jugoslawischen Nationalstaatsbildung darstellt.

Im Kosmet wurde erst infolge des Ersten Balkankrieges (1912/13), als das Territorium in das Staatsgebiet des seit 1878 unabhängigen serbischen Königreiches inkorporiert wurde, die osmanische Fremdherrschaft überwunden. Erst in den letzten Jahrzehnten der osmanischen Präsenz im westlichen Balkan hatte sich in dem Territorium eine demographische Umwälzung zuungunsten der Serben vollzogen. Nach der Konstituierung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929: Jugoslawien) wurde – in den Jahren 1922-29 und 1933-38 – die Revision der Marginalisierung der Serben im Kosmet staatlicherseits durch Rückkehr eines Teils der vertriebenen Serben gefördert. Nach der Besetzung Jugoslawiens durch die Achse kam es im August 1941 zu der bis zum Februar 2008 einzigen albanischen „Staatsgründung“ im Kosmet in Gestalt der Einverleibung des Territoriums in ein unter Italiens Ägide stehendes „Großalbanien“.

Ungeachtet der ethnischen Vertreibung und des Massenmordes, denen die Serben des Kosmet insbesondere nach dem Rückzug der Italiener (1943) seitens achsenfreundlicher Albaner ausgesetzt waren, zwang Tito Serbien eine Politik der albanischen Masseneinwanderung in das Kosmet auf. Im Verlaufe der ersten Nachkriegsjahrzehnte sahen sich die Serben (und andere Nicht-Albaner) in den Status einer allenfalls geduldeten Minderheit gebracht. Die föderalistische Verfassung von 1974 gewährte der inzwischen mehrheitlich albanisch besiedelten und 1970 in „Kosovo“ (anstelle von „Kosovo und Metohija“) umbenannten Provinz einen extensiven Autonomiestatus. Die gewalttätigen Übergriffe auf Serben und die Passivität von (albanisch dominierter) Polizei und Justiz gegenüber solchen Ausschreitungen – bei gleichzeitiger staatlicher Umwandlung orthodoxer Kirchen und Klöster in Moscheen – lösten in den 1980er Jahren auch internationale Proteste aus.

Auf den damaligen „Exodus der Kosovo-Serben“, wie er 1988 auch im US-Repräsentantenhaus thematisiert wurde, reagierte der Vorsitzende der serbischen Kommunisten, Slobodan Milosevic, mit einer Aufhebung der politischen Autonomie der Provinz zwecks Zurückdrängung der albanischen Dominanz im Kosmet. An die separatistische Politik einer Herausdrängung der nichtalbanischen Bevölkerungsteile aus dem Kosmet knüpften die Milizen der islamistisch durchsetzten UCK an. Diese rief 1996 durch terroristische Angriffe nicht nur auf jugoslawische Polizisten, sondern auch auf serbische Zivilisten eine bürgerkriegsartige Situation im Kosmet hervor, die zu beenden zum offiziellen Ziel der NATO-Interventionspolitik erhoben wurde. Dabei trat der Nordatlantikpakt zwischen dem 24. März und dem 10. Juni 1999 als „Luftwaffe der UCK“ (Henry Kissinger) hervor. Durch eine massive militärische Aufrüstung der albanischen Terrororganisation UCK als einer Landarmee gegen die jugoslawische Hoheitsmacht leistete die Clinton-Administration den Gewaltverbrechen Vorschub, die die UCK-Milizen nach dem Abzug der serbischen Verbände an wehrlosen Zivilisten begingen. 330.000 Serben, Roma und andere Nicht-Albaner wurden vertrieben oder zur Flucht ins unbesetzte Serbien gezwungen. Auch die jüdische Gemeinde Pristinas fiel dem Terror der UCK zum Opfer.

Anschließend wurde den im Kosmet verbliebenen Serben – unter zynischem Verweis auf das Postulat eines „multiethnischen Kosovo“ – stets eine Autonomie unter den Bedingungen einer „Kantonalisierung“ des Territoriums verweigert. Durch dessen formelle Unabhängigkeit von Serbien wurde 2008 der Monokulturalismus der albanisch-muslimischen Nationalisten „legalisiert“. Als „unabhängiger Staat“ wurde es durch eine „politische Elite“ repräsentiert, die der ehemalige kanadische Botschafter in Belgrad, James Bissett, wie folgt charakterisierte: „Sie haben unter der NATO-Besatzung fast die gesamte nichtalbanische Bevölkerung vertrieben und über 150 christliche Kirchen und Klöster zerstört.“

„Das Gewaltverbot und die Pflicht zur Achtung der territorialen Integrität aller Staaten gelten weiterhin. Für diese Prinzipien hatte sich gerade Russland im Fall Jugoslawiens so eingesetzt.“ Mit diesen Worten prangerte die FAZ vom 22. August 2008 das militärische Eingreifen Russlands in Georgien an. Als Russland dann am 26. August Südossetien und eine weitere „abtrünnige Republik“ in georgischem Staatsgebiet, Abchasien, als „unabhängige“ Staaten anerkannte, stand es tatsächlich weitgehend allein: Befreundete Staaten, etwa Belarus, China, Kasachstan oder Indien, die, wie Russland, die Abtrennung des Kosovo von Serbien als rechtswidrig betrachten, verweigerten Moskau ihre Solidarität in dem Augenblick, als die russische Regierung sich von dem Prinzip der Nichtanerkennung ethnisch begründeter Sezession verabschiedete. Wie ernst es der FAZ ihrerseits mit den Prinzipien von Gewaltverbot und territorialer Integrität ist, führte sie etwa am 11. Oktober desselben Jahres in ihrem Lob der Verleihung des Friedensnobelpreises an Martti Ahtisaari in drastischer Weise vor Augen: Ihm sei (unter anderem) die Ausarbeitung eines Friedensplans (des Ahtisaari-Plans) zu verdanken, „der den Keim kosovarischer Unabhängigkeit in sich trug“. Die Auszeichnung des Finnen würdigte die FAZ als gelungene Entscheidung.

Von Kollegiumsmitglied Daniel L. Schikora

Zum Foto: Weite Teile der EU-Mitgliedsstaaten (hier Österreichs Bundeskanzler Nehammer beim Staatsbesuch 2022 zusammen mit dem aktuellen Premierminister Kurti) haben die Unabhängigkeitserklärung der Republik Kosovo vom 17. Februar 2008 anerkannt (Foto: TVWien, www.pixabay.com).

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