Vorwort

Die Massivität der aktuellen Machtdemonstrationen totalitärer Minderheiten auch in Deutschland (wie in noch weitaus aggressiverer Form etwa in den USA), die sich u. a. in Gestalt der Besetzung universitärer Räume, der Versuche, universitäre Veranstaltungen zu sprengen (wie im Falle der antiisraelisch motivierten Anfeindungen der fortschrittlichen Juristin – und Netanjahu-Kritikerin – Daphne Barak Erez), oder der Bedrohung jüdischer Studierender manifestieren, hätte vor fünf Jahren – im Frühjahr 2019 – so wohl von kaum jemandem vorausgesagt werden können. Allerdings hielt ich in dem im Folgenden dokumentierten Text bereits damals fest, dass es bereits seinerzeit keineswegs überall in der Bundesrepublik selbstverständlich war, dass eine universitäre Konferenz auch im Falle dessen, dass sie sich einem brisanten Thema widmete, störungsfrei durchgeführt werden konnte. Tatsächlich hatte eine (angeblich studentische) Gruppe, die dann im Herbst letzten Jahres durch eine Rechtfertigung der Massaker der Hamas hervortreten sollte, sie zu verhindern versucht. Was heute wie damals nicht selbstverständlich war: Die Uni-Leitung stellte sich ebenso wie die Studierendenschaft unmissverständlich auf die Seite der angegriffenen Dozentin, die Veranstaltung konnte stattfinden – „recht eigentlich eine unspektakuläre Nachricht“. Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Vernunftfeindlichkeit lassen sich selbstverständlich nicht allein repressiv bekämpfen, z. B. durch polizeilichen Schutz einer „umstrittenen“ Veranstaltung an der Uni (wenngleich auch solches im Notfall geboten sein kann), vielmehr ist es dringend geboten, dass – auch und gerade im akademischen Raum – den Gewaltdemonstrationen einer relativ kleinen, aber mitunter recht aggressiv auftretenden antisemitischen Minderheit jene im Kern liberale Mehrheit entgegentritt, die im Fall der „klassischen“ extremen Rechten mit ihren abscheulichen „Remigrations“-Vorhaben durchaus wirkungsmächtig Flagge gezeigt hat. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, dass sozialdemokratische, grüne, liberale und christdemokratische Hochschulgruppen bereits vielfach den Schulterschluss üben, um jedweden Angriff auf jüdische Kommilitonen zu ächten.

Daniel L. Schikora, 10.5.2024 

Meinungsäußerungsfreiheit und Säkularität als europäische Errungenschaften*

Am vergangenen Mittwoch konnte an der Goethe-Universität in Frankfurt eine Konferenz zu dem Thema „Das islamische Kopftuch. Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ stattfinden. Und im Rahmen dieser Veranstaltung kamen – mit Alice Schwarzer und Necla Kelek auf der einen und Khola Maryam Hübsch auf der anderen Seite – auch dezidierte Verfechterinnen der beiden in den ‚Kopftuchkontroversen‘ artikulierten ‚Extrempositionen‘ als Referentinnen zu Wort. Unter den Bedingungen religiöser und auch religionspolitischer Pluralität, die sich unvermeidlicherweise in öffentlichen, einschließlich universitärer Debatten widerspiegelt, recht eigentlich eine unspektakuläre Nachricht.

Was allerdings mit guten Gründen ein breites öffentliches Interesse hervorrief, war die Vehemenz der vorangegangenen Versuche, die Durchführung dieser Konferenz im Vorfeld zu verunmöglichen. Auch Studenten beteiligten sich an diffamierenden Angriffen gegen die Organisatorin Susanne Schröter, die Leiterin des Forschungszentrums „Globaler Islam“ an der Goethe-Universität, indem sie ihr allen Ernstes „antimuslimischen Rassismus“ vorwarfen. Im virtuellen Raum verbreiteten Extremisten die Parole „Schröter raus“, was etwa bei einem „Beauftragten gegen Rechtsextremismus“ der bayerischen Bündnisgrünen auf Zuspruch stieß: „Fakt ist doch, dass sie eine Minderheit gegen die andere ausspielt.“ In seinen Augen „ganz klar rassistisch“, wobei er offenließ, welche „Minderheiten“ ausgerechnet Prof. Schröter gegeneinander ausgespielt haben sollte.

Jedoch zeigte sich erfreulicherweise rasch, dass sich eine Mehrheit der Betroffenen, nämlich die Studierenden (und Lehrenden), die (unabhängig von Herkunft, Konfession usw.) sich die Universität als Raum akademisch ausgetragener kontroverser Auseinandersetzungen nicht nehmen zu lassen bereit sind, von der Minderheit der Spalter und Hetzer nicht einschüchtern ließ; die Institutionen der Abwehr antidemokratischer und wissenschafts- und akademiefeindlicher Provokationen erwiesen sich im konkreten Fall als funktionsfähig: „Dem Protest anonymer Aktivisten folgte nicht die Absage. Die Professorin musste nicht wie gefordert ihren Lehrstuhl räumen, und der Rassismus-Vorwurf, der ihr an den Kopf geschleudert worden war, verlief sich im Sande. Die Frankfurter Universitätspräsidentin Birgitta Wolff musste nur kurz überlegen, dann schickte sie Susanne Schröter eine SMS: Die Konferenz über das Kopftuch am Exzellenzcluster Normative Ordnungen wird stattfinden.“ (FAZ, 10.5.2019) Der Frankfurter Asta ließ seinerseits an seiner scharfen Verurteilung der „Hetzkampagne“ gegen Schröter und an seiner Solidarisierung mit der angegriffenen Akademikerin keinen Zweifel und wies darauf hin, dass Religionskritik und Rassismus auseinanderzuhalten seien.

Solch eine resolute Zurückweisung herrschaftlich-religiöser Herrschaftsansprüche, die die Säkularität des öffentlichen Raums des Verfassungsstaates bisweilen in äußerst militanten Formen zur Disposition stellen, ist im gegenwärtigen Europa keine Selbstverständlichkeit (mehr). Dies machte Schröter deutlich, als sie an eine Ausladung Alain Finkielkrauts von einer Pariser Hochschule erinnerte – auch hier (wie in zahlreichen weiteren Fällen) diente der Vorwurf des antimuslimischen Rassismus als Waffe gegen die Verteidigung der Normen der demokratischen und laizistischen Republik […].

Dass Kampagnen wie die gegen Schröter auch und gerade in der Perspektive einer Säkularität, die die Menschen- und Bürgerrechte von Angehörigen religiöser (oder ethnischer) „Minderheiten“ ebenso wie jene von „Mehrheits“angehörigen erst garantiert, schärfstens zurückzuweisen und gesellschaftlich zu ächten sind, streicht Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden in Deutschland, in den folgenden Worten heraus: „Jeder Versuch von Gruppen, welcher politischen oder religiösen Couleur auch immer, den notwendigen kritischen Blick auf die Missachtung von Menschenrechten zu verhindern, wird seitens der jüdischen Gemeinschaft auf heftigen Widerstand stoßen. Auch wenn der historische Kontext nicht vergleichbar ist, so erinnern Parolen wie »…. raus!« an die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte.“

Die Aufklärung und ihre institutionelle Konsequenz, die säkulare Republik, wurden noch im 20. Jahrhundert unter ungeheuren Opfern verteidigt; sie sind unabdingbare Voraussetzung nicht nur der einzelnen europäischen Verfassungsstaaten, sondern auch der Perspektive ihrer politischen Vereinigung auf der Grundlage der republikanischen Freiheit.

Von Kollegiumsmitglied Daniel L. Schikora

* Erstveröffentlicht in: EUROjournal online, 12.5.2019.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert