Hoch oben über dem Ammersee auf dem Heiligen Berg wird schon lange ein Stück europäischer Friedensgeschichte begreifbar gemacht. Seit knapp 30 Jahren durch die Paneuropa-Union Deutschland. Denn dort kommen im historischen Kloster-Gasthof zu den schon traditionellen Paneuropatagen stets hochrangige Politiker, der Klerus, Philosophen und namhafte Wissenschaftler zusammen, um die Lage des alten Kontinents zu analysieren und Wege aufzuzeigen, damit das Auseinanderdriften der einzelnen Nationen nicht ins Uferlose läuft. Daher hieß auch das Motto des Wochenendes „Zukunft Europas vorbei?“, man beschwor die Einheit über nationale Grenzen hinweg als unabdingbar für eine hoffnungsvolle Zukunft der Europäischen Union.

Und es ist immer wieder erstaunlich, welch Fülle an Prominenz die Veranstalter mit ihrem sprachgewaltigen Präsidenten Bernd Posselt und dem Geschäftsführer Johannes Kijas an der Spitze ins Boot holen, so auch diesmal. Für die Auftritte vor einer großen Zahl an Zuhörern aus der Republik und dem europäischen Ausland: Allen voran Manfred Weber, Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Dazu beispielhaft das Bühnengespräch mit Ladis Nemet, Erzbischof von Belgrad, Professorin Ingeborg Gabriel vom Institut für Sozialethik der Universität Wien oder Professor Davor Dźalto, serbisch-orthodoxer Theologe an der Universität Stockholm. Sie alle diskutierten dabei über die Relevanz des Christentums für ein sich einigendes Europa.

Weber schätzte da den Stellenwert des Glaubens hoch ein: „Das Christentum und christliche Werte prägen gemeinsam mit jüdischen Wurzeln oder der Aufklärung den Kontinent in hohem Maße. Der Zugang zur Krankenversorgung, die Hilfe für die Dritte Welt oder der Schutz des Lebens von Beginn bis zum Ende haben wesentlich christliche Werte als Grundlage“. Unterschiedliche Glaubensrichtungen in Europa sehe er nicht kontraproduktiv für ein sich einigendes Europa, weil die EU das Motto „In Vielfalt vereint“ habe. „Da sind verschiedene Religionen eher eine Stärke, wenn es einen gemeinsamen Wertekatalog mit dem prägenden Christentum vorne dran gibt“. Christentum gehöre in die öffentliche Debatte.

Wie stets hat die Stimme von Posselt Gewicht, man hört ihm gerne zu, da hier tiefe Überzeugung und große Erfahrung zusammentreffen. Der langjährige Europaparlamentarier meinte zum gegenwärtigen Zustand der EU: „Für die Zukunft Europas ist ein Stück des Weges beschritten, jetzt ist der entscheidende Moment für eine außenpolitische und verteidigungspolitische Einheit“. Weil auf Grund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine diese existenziell gefährdet sei. Es würden weitere Jahre der politischen Herausforderungen folgen, Russland dürfte eine Zone der Instabilität bleiben. „Wir brauchen ein europäisches Außenministerium und eine europäische Armee“, forderte Posselt. Wie das schon Franz Josef Strauß vor Jahrzehnten gesagt habe. In das gleiche Horn blies General a.D. Walter Spindler. Eine gemeinschaftliche Sicherheitspolitik und eine einzige Position der EU nach Findungsprozessen seien notwendig und zwar mit qualifizierter Mehrheit, mahnte der Insider an. Und beantwortete die Frage, was sich da in den letzten zehn Jahren am Status quo getan habe: „Es waren nur kleine und langsame, aber notwendige Schritte zum Positiven. Der strategische Kurs vom März 2022 weist in die richtige Richtung“.

General a.D. Walter Spindler bei seinem Vortrag (Foto: Horst Wunner)

Der Historiker Professor Wilfried Loth von der Universität Duisburg-Essen brachte aus der Geschichte der europäischen Einigung ein paar Ideen für die Zukunft mit. Wie Posselt hoffe er, dass die verteidigungspolitische Fortentwicklung der EU wahrscheinlicher werde. Wo genau der Weg hingehe wisse man nicht, „aber wir haben Chancen zu einem europäischen Bundesstaat. Das Ende des Weges kenne ich nicht, eine Niederlage Putins im Ukrainekrieg wäre ein Fanal für eine zunehmende Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union“. 

Zur Mobilität in der EU gab Ismail Ertug, Mitglied des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament, besondere Einblicke. Sein Fazit: Die EU ist nur so stark wie ihre Infrastruktur, deshalb investiere man in Straße, Schiene, Luft- und Schifffahrt. Ob die Schnelligkeit hoch genug sei, um das Kennenlernen und Zusammenwachsen der europäischen Länder noch attraktiver zu machen, fragten wir ihn. „Auf der Straße haben wir relativ gute Verkehrsbedingungen, es ist jedoch noch Einiges zu tun. Nachholbedarf besteht im grenzüberschreitenden Bereich und das besonders auf der Schiene“. Für die EU mit einer Zukunft nannte Ertug das wichtig, „nationalstaatliche Egoismen bremsen nur“. Für Bayern und Deutschland hätten große Schnellbahn-Korridore viel Bedeutung wie die Verbindung München-Prag über Schwandorf mit einem Lückenschluss nach Nürnberg. Sowie die Route über den Brenner zu den norditalienischen Häfen. „Mehr Tempo ist angesagt“, so der Verkehrsexperte.

„Wie Europa isst“ brachte ein Ausflug ins Kulinarische näher. Dr. Peter Peter, Dozent für Gastrosophie und und Kulinarik an der Universität Salzburg, würzte das Ganze mit interessantem Eintauchen in die Küche des alten Kontinents und der Erkenntnis: „Was auch ein bisschen zum besseren Verständnis der einzelnen Staaten beiträgt“. Und Marlene Mortler ergänzte das mit Aspekten aus der europäischen Agrarpolitik zur Ernährungssicherheit in Zeiten weltpolitischer Krisen. Die Fachfrau im Wirtschaftsausschuss des  Europäischen Parlaments sagte: „Die Einfuhren nehmen zu, Flächen werden vermehrt stillgelegt, das ist nicht gut“.

MdEP Marlene Mortler sprach zur europäischen Agrarpolitik (Foto: Horst Wunner)

Das Bühnengespräch im Klostergasthof moderierte Dr. Dirk H. Voß mit leichter Hand. Der Verfassungsrechtler und gleichzeitige internationale Vizepräsident der Paneuropa-Union, beschäftigte sich auf der Tagung auch mit dem „Recht des Anderen auf eine vermeintlich falsche Meinung“. Dazu bedürfe es jedoch Toleranz und Kompromiss, so seine Einschätzung. Was die Andechser Europatage noch auszeichnet: Zuhörer aus ganz Deutschland. So einer war Herwig Kerscher, der aus Speyer anreiste. Der Strahlenschutzwerker und Buchautor, ein studierter Politikwisschenschaftler: „Ich bin seit mehr als zehn Jahren bei Veranstaltungen von Paneuropa dabei und auch etwas Osteuropa affin wie zum Balkan oder zu Polen und schätze es, hier historische Begebenheiten aus guten Quellen zu bekommen. Die Informationen und der direkte Kontakt zu den Referenten im persönlichen Gespräch ist in dieser Form wo anders ja selten“. Es sei schön, dass so was angeboten werde.

Ein Gottesdienst in der Wallfahrtskirche rundete die zwei Tage ab, die Paneuropa-Fahnen schmückten das Innere des Rokokojuwels und drückten die Verbundenheit der ältesten Friedensbewegung Europas zum Glauben aus. Im Rahmen ihres 100-jährigen Gründungsjubiläums setzt die Paneuropa-Union Deutschland  demnächst schon wieder ein Ausrufezeichen: Am 12. Mai geht es für drei Tage nach Stettin und Greifswald zum Europakongress der Paneuropa-Union Deutschland gemeinsam mit der polnischen Paneuropa-Union, um die Beziehungen zu vertiefen.

Von Kollegiumsmitglied Horst Wunner

Zum Foto oben: Bühnengespräch am Veranstaltungssonntag, u.a. mit Dr. Dirk H. Voß und EVP-Vorsitzendem Manfred Weber (mitte) (Foto: Horst Wunner).

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