Als letzten Programmpunkt des Zukunftsforums Medien der Medienanstalt Hessen zum Thema „404 – Truth not Found“ gab der Soziologe Nils C. Kumkar den Teilnehmern einen „Denkzettel“ mit auf den Weg, in dem der wissenschaftliche Mitarbeiter am SOCIUM – Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen – unserer Gesellschaft eine „manifeste Wahrheitskrise“ attestierte und die Unfähigkeit der Gesellschaft damit umzugehen. „Das ist, was man ein Dilemma nennt. Es gibt keine Antwort“, sagte er mir im Anschluss an seinen Vortrag. Auf der Tagung war man weithin anderer Meinung. Am deutlichsten brachte es Stephan Mündges, Co-Koordinator der Faktencheck-Organisation GADMO auf den Punkt als er forderte die Europäische Union müsse viel stärker die Löschung von Fake News und Hate Speech auf den großen Social Media Plattformen durchsetzen. Da knicke man bislang in Brüssel viel zu sehr ein. Dass man damit aber die Meinungsfreiheit einschränkt, wurde dabei als Problem ignoriert.

Facebook und andere große internationale Player haben schon mehrfach angedroht ihre Aktivitäten ob der Brüsseler Regulierungsanstrengungen in Europa einzustellen. Sollten sie es umsetzen, dann werden die Nutzer in Europa von einem weltweiten Dialog abgehängt, was wir hier nur durch eine regionale Plattform kompensieren können. Wir hätten uns selbst vom globalen Austausch abgehängt. Man kann die Macht der amerikanischen Konzerne kritisieren, aber einen ersten Vorgeschmack davon haben wir bereits bekommen. Facebook Mutter Meta startete seinen sehr ernst zu nehmenden Twitter-Konkurrenten Threads simultan in über 100 Ländern und hatte bereits nach 4 Stunden über 10 Millionen Abonnenten und über 100 Millionen nach vier Tagen. In Europa können wir auf diesen Dienst indes noch nicht zugreifen, da ihn der Anbieter aus datenschutzrechtlichen Gründen hier noch nicht anbietet. Noch sind die Auswirkungen gering, das könnte sich aber schon bald ändern.

Das Problem aber ist viel grundsätzlicher. Wie Kumkar in seinem „Denkzettel“ ausführte, wurden ähnliche Thesen wie heute in den Umgangsmedien ähnlich heftig an den Stammtischen in vergangenen Jahrzehnten vertreten. Ergo: Das Problem ist nicht neu, und wenn man die Stammtische Land auf, Land ab zusammenzählt, dann kommt man auch damals schon auf eine beträchtliche Zahl. Der Unterschied war, die Filterblasen waren isoliert und hatten keine Möglichkeit in den Mainstream zu strahlen und dem wiederum fiel es leicht das Problem zu übersehen. Social Media hat diese Begrenzung aufgehoben, die populistische Filterblase wurde lauter und plötzlich sichtbar. Anstatt jetzt aber das eigentlich alte gesellschaftliche Problem offensiv anzugehen, reagieren die Verantwortlichen hilflos. Nicht das Problem wird an der Wurzel angegangen, sondern das Symptom. Einschränkungen der Meinungsfreiheit wirken auf lange Sicht selbst in autokratischen Systemen nicht. Sie nehmen das Problem lediglich aus dem Sichtfeld, machen die freie Meinungsäußerung für den einzelnen gefährlich. Aber irgendwann entlädt sich der Stau. In einer Demokratie ist das erst recht Gift, weil es die Grundfeste des eigenen Selbstverständnisses untergräbt.

Das Problem ist komplex, nicht zuletzt, weil Troll-Fabriken im Ausland versuchen, hierzulande Meinung zu beeinflussen, in dem sie massenhaft „Fake News“ kreieren und verbreiten. Hier lässt sich ansetzen, auch wenn das schwierig ist, denn die Menschen, die weiterverbreiten, glauben das ja. Meinungsfreiheit beinhaltet, auch an Unsinn zu glauben. Und das Fakten-Checken hilft hier nur bedingt. Oft wird das in der Verschwörungsszene zum Gütesiegel: Der Mainstream gehe dagegen an, also müsse es ja wahr sein. Ich habe in der Schule gelernt, dass man sich in der Demokratie der Meinung des anderen stellen muss, mit Argumenten dagegenhalten. Das enthält natürlich auch die Möglichkeit des Scheiterns. Das Problem ist schlicht und ergreifend, dass unsere Demokratie nicht mehr ihrer eigenen Kraft vertraut. Und das, fürchte ich, ist die eigentliche Krise unserer Demokratie.

Vom Mitglied der Chefredaktion Dieter Brockmeyer

Foto-Quelle: Medienanstalt Hessen

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