Seit vielen Jahren leistet unsere Partnerorganisation GPB Europaverein e.V. aus Eschweiler mit den „Nachrichten aus Europa“ einen aus dem EUROjournal pro management nicht mehr wegzudenkenden Beitrag. „Wie tickt Europa“ gibt einen schönen Überblick, wie die wichtigsten europäischen Themen in den führenden Publikationen der EU-Mitgliedsstaaten aufgenommen werden.   

22.06.2022 – Ukraine-Krieg: Will Russland verhandeln?
Während die Ukraine Gebietsgewinne im Süden meldet, greift Russland weiterhin ukrainische Ziele an. Verhandlungen scheinen in weiter Ferne zu liegen. Bisherige Vorschläge zur Befriedung, beispielsweise aus China, fanden kaum Resonanz – etwa, weil sie vorsahen, dass die Ukraine Gebiete abgibt, was diese ablehnt. Nun gibt es Signale für ein verstärktes Interesse an Verhandlungen aus Moskau. Kommentatoren debattieren, was auf dem Spiel steht.  

Russische Föderation: Kreml erwägt offenbar, Gebiete abzukaufen
Politologe Nikolai Mitrochin interpretiert die Äußerungen von Ria Nowosti auf seiner Facebook-Seite als Indiz für eine Kursänderung in Russlands Führungskreisen:
„Vor einigen Monaten wurde auch von [RT-Chefin Margarita] Simonjan die Idee eines „Abkaufs“ geäußert. Das heißt, in der russischen Führung gibt es die Idee, den Krieg mit einem Vertrag zu beenden, bei dem der Ukraine alle Gebietserwerbungen bezahlt würden. … Wie aus dem Text hervorgeht, will Putin (oder eine einflussreiche Gruppe in der politischen Führung Russlands, an der sich Simonjan und die Autorin von Ria Nowosti orientieren) keine nennenswerten neuen Verluste auf russischer Seite, ist aber auch nicht bereit, das Eroberte aufzugeben, und plant deshalb eine „Abmachung“ in der Art von „mit Geld zuschütten“.“  

Ukraine – Gordonua.com – Verhandlungen nicht möglich
Michail Podoljak, Berater des Chefs der ukrainischen Präsidialadministration, schreibt auf Gordonua.com:
„Ungelernte Lektionen aus der Geschichte haben die Tendenz, sich zu wiederholen. … Das derzeitige russische Regime ist das Ergebnis einer 20-jährigen falschen Politik des Westens gegenüber Russland. … Es gibt nur einen Weg, diese Lektion heute zu lernen: sich zu einer einzigen Faust zu vereinen, Moskau zu besiegen, Kriegsverbrecher zu bestrafen und den Respekt vor dem internationalen Recht wiederherzustellen. Jeder Versuch, eine Aggression zu tolerieren, jeder Versuch, zur Tagesordnung überzugehen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen, wird den Völkermord als Instrument der internationalen Beziehungen legalisieren und unseren Planeten zu einem viel gefährlicheren Ort machen.“  

Rumänien – Spotmedia – Die Zeit ist auf Moskaus Seite
Die Ukraine steht unter Erfolgsdruck, so Politikanalyst Valentin Naumescu auf Spotmedia:
„Durch eine Verlängerung des Konfliktes (oder durch dessen Einfrieren) könnte die Empathie des westlichen Publikums schwinden und insbesondere das Vertrauen in die Theorie eines völligen Sieges. Das könnte uns allmählich glauben lassen, dass wir Zeugen einer neuen territorialen Realität und eines neuen Status Quo sind. Die Russen haben sich stets auf die Politik der vollendeten Tatsachen verlassen und darauf, dass der Westen die Realität eines Tages akzeptiert. Und in Westeuropa gibt es viele, die gern zum ‚Business as usual‘ zurückkehren würden, was die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Russland angeht.“  

Kroatien – Večernji list – Enorme Kriegsschäden
Die exorbitanten Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine steigen stetig weiter, betont Večernji list:
„Bei einer großen Konferenz in London versprachen Großbritannien, die USA und die Europäische Union gestern Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine. … Die Ukraine braucht 40 Milliarden Dollar zur Finanzierung des ersten Teils des „grünen Marshallplanes“. … Ursula von der Leyen sagte, die EU werde der Ukraine 50 Milliarden Euro zwischen 2024 und 2027 geben. Die Kriegsschäden sind enorm, die Weltbank, Europäische Kommission und Vereinten Nationen schätzten sie im März auf 411 Milliarden Dollar im ersten Kriegsjahr. Doch sehr leicht könnten sie bald auf mehr als eine Billion (tausend Milliarden) Dollar ansteigen.“  

22.06.2023 Immer mehr Flüchtlinge, immer weniger Solidarität?
Die Zahl der Flüchtlinge weltweit ist im Jahr 2022 laut UNHCR um 19 Millionen Menschen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, 11,6 Millionen davon sind Ukrainer. Die EU hat gerade das Asylrecht verschärft, während die Öffentlichkeit das jüngste Bootsunglück im Mittelmeer diskutiert, bei dem wahrscheinlich Hunderte Migranten ums Leben gekommen sind. Kommentatoren fragen sich, ob die Debatte überhaupt richtig geführt wird.  

Polen – Krytyka Polityczna – Gute Einwanderer, schlechte Einwanderer
Im polnischen Wahlkampf geraten im Streit um Migration gewohnte Positionen durcheinander, beobachtet Krytyka Polityczna:
„Die Rollen in dieser „Debatte“ sind so verdreht, dass es schwierig ist zu verstehen, wer wo steht. Die Regierung wirbt in Scharen Arbeiter aus der ganzen Welt an, während sie gleichzeitig die Öffentlichkeit mit Einwanderern verängstigt, die uns von Brüssel „aufgehalst“ werden sollen. Offenbar zählt sie darauf, dass ihre glühendsten Anhänger in der Lage sind, auf einen Blick den Inder im Uber als den „guten Einwanderer von Kaczyński“ zu erkennen und höflich zu ihm zu sein, im Gegensatz zum bösen Einwanderer von Ursula von der Leyen.“  

Österreich – Der Standard – Von aussichtsloser Reise abhalten
Die Eindämmung von Migration muss früher ansetzen als bei der Bekämpfung von Schleppern, merkt Der Standard an:
„Die Abschiebe-Rhetorik konservativer und rechtsextremer Politiker ist echter ‚Volksbetrug‘. Die Herkunftsstaaten nehmen sie einfach nicht zurück. Die Bekämpfung der Schlepper und eine Eindämmung der Migration muss schon viel früher beginnen. Es verlangt die intellektuelle Redlichkeit, auch als humanitär denkender Kritiker der jetzigen Migrationspolitik, zu sagen: Ein großer Teil derer, die da übers Mittelmeer oder die angeblich geschlossene Balkanroute kommen, hat in Europa keine oder geringe Chancen auf Arbeit, Eingliederung, Aufstieg. Es müssen Wege gefunden werden, sie von einer aussichtslosen Reise (oft in den Tod) abzuhalten.“  

Spanien – El Pais – Abschreckungspolitik beenden
Juan Matías Gil, Einsatzleiter bei Ärzte ohne Grenzen (MSF) im zentralen Mittelmeer, wirft Europa in El País Heuchelei vor:
„Ärzte ohne Grenzen fordert die Mitgliedstaaten auf, einen europäischen, ausdrücklich auf Rettung von Menschenleben ausgerichteten Such- und Rettungsmechanismus einzurichten. … Die EU muss die Abschreckungspolitik beenden und sofort jegliche Unterstützung für die libysche Küstenwache oder andere Akteure einstellen, die Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts zulassen. … Solange sich das nicht radikal ändert, werden wir weiterhin vermeidbare Todesfälle beklagen und uns über die politische Heuchelei der EU empören, die im Widerspruch zu ihren Grundwerten steht.“  

Ungarn – Népszava – Kaum Verbesserungen in Sicht
Der Historiker Iván T. Berend zeichnet in Népszava ein düsteres Bild:
„Die Welt ist in einer erschreckenden Bewegung. Aus Asien und Afrika kommen die Flüchtlinge massenhaft nach Europa und Amerika. Es ist offensichtlich unmöglich geworden, sie alle aufzunehmen. … Es scheint einstweilen hoffnungslos, die Ursachen der Migrationsbewegungen zu lösen. Bei der Verbesserung der Lage in den Ländern, aus denen sich Dutzende Millionen von Migranten auf den Weg machen, gibt es keine oder nur langsame Fortschritte. Die reichen Länder stoßen an die Grenzen ihrer Aufnahmekapazität. Die Welt wird Zeuge zahlreicher menschlicher Tragödien.“  

Griechenland – Phileleftheros – Halboffene Grenzen ergeben keinen Sinn
Phileleftheros beschreibt die Stimmung gegenüber den Einwanderern wie folgt:
„Die Gesellschaften sind viel verschlossener und misstrauischer gegenüber Ausländern geworden. Auch hier gibt es eine große Debatte. Sind die Migranten selbst daran schuld, dass sie sich nicht integrieren und sich oft gegen die Länder wenden, die sie aufgenommen haben? Es ist kein Zufall, dass bei vielen tödlichen Terroranschlägen die Täter Einwanderer der zweiten Generation waren. Liegt es daran, dass die extreme Rechte diese Ängste ausgenutzt und verstärkt hat, was zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geführt hat? Wie dem auch sei, es handelt sich um zwei völlig gegensätzliche Haltungen, die nicht so recht zusammenpassen. Hier offene, da geschlossene Grenzen. Halboffene Grenzen ergeben keinen Sinn.“  

Belgien – La Libre Belgique – Politischer Mut ist möglich und notwendig
Die EU sollte sich in der Flüchtlingspolitik an ihrem Umgang mit den Fliehenden aus der Ukraine orientieren, drängt Joke Dillen von Caritas International in La Libre Belgique:
„Die neue Einigung zementiert Vorgehensweisen, deren Folgen humanitär dramatisch sind, wie wir wissen. … Die europäischen Regierungen müssen sich beim Thema internationales Recht für Flüchtlinge ihrer Verantwortung stellen. … Dies erfordert sowohl Zeit als auch politischen Mut. Genau den politischen Mut, der den temporären Schutz möglich gemacht hat, der den Ukrainerinnen und Ukrainern geboten wurde. Lasst uns auf dieser Solidarität die Grundlagen eines europäischen Aufnahmemodells errichten, das die Grundrechte und den Schutz aller Personen ungeachtet ihres Herkunftslands garantiert.“  

Malta – The Times of Malta – Jeder braucht einen sicheren Hafen
Zum Weltflüchtlingstag mahnt auch The Times of Malta zu mehr Empathie:
„Wir alle verstehen auf die eine oder andere Weise und in unterschiedlichem Ausmaß, was Verlust bedeutet. Auf die eine oder andere Weise und in unterschiedlichem Ausmaß wissen wir alle, was es bedeutet, wenn die Grundfeste des Lebens erschüttert werden. Vielleicht haben wir das Glück, nicht verstehen zu müssen, was es bedeutet, aus unserem Land zu fliehen. … Vielleicht haben wir das Glück, nicht verstehen zu müssen, was es bedeutet, sich in einem neuen, fremden Land zu bewegen, während das Etikett „Flüchtling“ wie eine Regenwolke über unseren Köpfen hängt. … Aber wir alle würden uns für unsere Kinder und uns selbst einen sicheren Hafen – also internationalen Schutz – wünschen, sollten wir ihn brauchen.“  

Frankreich – Le Point – Moskau lässt Krise in Europa auflodern
Warum gerade jetzt wieder viele Migranten über das Mittelmeer nach Europa aufbrechen, erklärt Le Point:
„Flüchtlinge sind zu einer geopolitischen Waffe geworden, und das nicht nur für die Türkei. Die in Ägypten gestartete [kürzlich vor Griechenland gesunkene] Adriana hat ihre Passagiere in Tobruk an Bord gehen lassen, das im von der russischen Wagner-Miliz kontrollierten Teil Libyens liegt. Viele Migranten kommen mit dem Flugzeug aus dem ebenfalls weitgehend von Russland kontrollierten Syrien nach Tobruk. Die Anzahl der dort illegal ablegenden Boote Richtung Italien hat in den letzten Monaten deutlich zugenommen. Alles ereignet sich so, als halte es der Kreml für opportun, die Flüchtlingskrise neu anzufachen, um den Extremisten in die Hände zu spielen und die Spannungen in Europa vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs zu verstärken.“  

Belgien – De Morgen – Chance auf Glück näher an Herkunftsländern bieten
Die Katastrophe mit dem Migrantenboot vor Griechenland beweist, dass Abschreckung keine Lösung ist, meint De Morgen:
„Abgrenzung ist nur die Hälfte der Politik. Die andere ist Zusammenarbeit und Handel mit Ländern und Regionen, aus denen Migranten flüchten, auf der Suche nach einem besseren Leben. Wir müssen diese „Glückssuchenden“ nicht abschrecken oder zu einem Tod auf See verurteilen, wir sollten ihnen eine Chance auf Glück näher bei ihrem Zuhause bieten. … Entwicklungszusammenarbeit könnte ein Pfeiler von Geopolitik und Handelspolitik sein. Aber wer wagt es, das heute seinen Wählern zu erzählen.“

Von Kollegiumsmitglied Annelene Adolphs, Europaverein GPB e.V.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert