Wer den Spott hat, braucht sich um den Schaden nicht sorgen …?“

Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Chef der Freien Wähler (FW) ist nach Ermittlungen und Veröffentlichungen der „Süddeutschen Zeitung“ ins Zwielicht geraten. Ein Pamphlet aus seiner Schulzeit ist an die Öffentlichkeit gekommen und offenbart derbe und menschenverachtende Spöttereien über KZ- und Nazi-Opfer. Der als mutmaßlicher Autor „geoutete“ Minister Hubert Aiwanger wies die Autorenschaft des Pamphlets nach etwas Schweigen bewusst von sich und kündigte an, dass sich der ihm bekannte Autor selbst zur Sache äußern werde.

Dies tat sodann Helmut Aiwanger, der um ein Jahr ältere Bruder, heute am gemeinsamen Wohnort lebender Waffenhändler. Weil er damals in der Schule sitzen blieb, und damit in derselben 11. Klasse wie sein 17jähriger Bruder Hubert landete, habe er das Schreiben verfasst. Später reicht er nach, es sei nur eine „Satire“ gewesen und eine „Jugendsünde“. Wohlmeinende sehen den bayerischen Wirtschaftsminister damit entlastet. Noch Wohlmeinendere sehen gar eine „Blamage für die Süddeutsche Zeitung“ oder gar Parallelen zu den gefälschten „Hitler-Tagebüchern“. Wenn schon denn schon. Politische Gegner hingegen sprechen von einem antisemitischen Skandal, fordern Aufklärung und ggf. die Entlassung des Ministers und Chefs des Koalitionspartners der CSU – pikanterweise sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl.

Ich würde meinen, dass Bruder Helmut Aiwanger – offenkundig nach gemeinsamer Beratung – nach vorne trat, um die politische Karriere des Ministers zu retten.

Seine Erklärung, er habe das verfasst, weil er frustriert über sein Sitzenbleiben war, ist inhaltlich jedoch wertlos, da das Pamphlet darauf gar keinen Bezug nimmt. Wie käme man auch dazu, auch nur zu vermuten, dass sein Sitzenbleiben in irgendeiner Weise „Vaterlandsverrat“ sein könnte? Noch dazu sollen dafür gleich 1000 Menschen in KZs ermordet (oder gefoltert) werden?

Und die Datierung im Schreiben „1.1.88“ ist dann eben auch eine ganz geläufige Chiffre unter Nazi-Anhängern, wobei die Zahl 1 als erster Buchstabe, die 8 als achter Buchstabe gelesen wird – was sodann „AH“ ergibt, … und in rechtsextremen Kreisen eben für „Adolf Hitler“ steht. Im Kontext der anderen Aussagen des Schreibens passt das dann eben auch sehr genau dazu – ist eine unübersehbare Anspielung für „Insider“, wohlüberlegt und in der Summe allerdings bei weitem mehr als ein „Scherz“ und alles andere als eine „Satire“. Außer vielleicht es ging dabei wirklich darum, den „Holocaust“ zu verspotten. Dann freilich, wäre es in der Tat eine, wenn auch geschmacklose. Aber das soll ja wohl nicht ernsthaft die Aussage der Aiwangers im Jahr 2023 sein?

Nochmal: Es fehlt schlicht jeder inhaltliche Bezug zwischen dem einschlägigen Jargon des Schreibens und der Erklärung des Bruders zu seiner Klassenwiederholung. Und ja, warum hatte der jüngere Bruder Aiwanger, der jetzige Minister, dann selbst Kopien davon in seiner eigenen Schultasche? Um den „Schaden begrenzend“ seinen Bruder Helmut „zu helfen“, wie dieser nun behauptet? Wie andere Zeugen das alles nun aber ausplauderten, gab es aber wohl weitere Kopien, möglichweise eben von ihm, von Hubert, als Verteiler.

Dass der eine Bruder dem anderen hier beistehen will, ist familiär verständlich, wirft aber auch die Frage auf, was er, der Bruder des Ministers davon hat. Gerade in Deutschland ist es bekanntlich keine Seltenheit, dass Verwandte von Politikern in Ämtern „irgendwie“ profitieren. Das wurde im Frühjahr dieses Jahres ja auch bei den Grünen offenbar.

Übrigens: Auch als Jude und Nachkomme von in der NS-Zeit von Nazis ermordeten Großeltern sehe ich das Aiwanger-Schreiben inhaltlich nicht automatisch als „antisemitisch“. In den KZs wurden keineswegs nur Juden ermordet und … Juden werden im Text gar nicht erwähnt. Auch wenn die Massenmorde an mehr als sechs Millionen Juden durch das NS-Regime meist im Blickpunkt der historischen Betrachtung steht, so sind Begriffe, die im Aiwanger-Schreiben auftauchen wie Auschwitz, Dachau, Massengräber, Gestapo-Gefängnis, usw. eben nicht auf Juden reduzierbar. Ein solcher Automatismus, dem viele Aiwanger-Kritiker sofort verfielen, müsste dann eben auch erstmal für sich wieder begründet werden. Auch gerade unter der Frage, ob der „Holocaust“ nun wirklich der Tiefpunkt der jüdischen Geschichte war, oder nicht doch eher der der deutschen.

Das alles ändert wie auch immer gar nichts an der ekelhaft armseligen Gesinnung, die der Aiwanger-Text und seine „Scherze“ zum Ausdruck bringen. Diese Gesinnung haben beide Aiwanger-Brüder offenbar nicht nur geteilt …, sondern eben auch ausgeteilt.

Von Kollegiumsmitglied Yehuda Shenef

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