Bevor am 15. Dezember noch einmal das Jahresthema „Künstliche Intelligenz“ auf dem Terminplan der Akademie Ostbayern-Böhmen (AOB) stand (Bericht folgt), machte sich am Samstag des 3. Advents eine Busgruppe von etwa 30 Personen von Neunburg vorm Wald, dem Sitz der Akademie, unter Reiseleitung von Programmkoordinator Johann Fischer auf den Weg nach Pilsen. Im Folgenden berichtet Hans-Peter Weiß, den wir an dieser Stelle herzlich in unserem ehrenamtlichen Redaktionskollegium begrüßen, von dieser besonderen Ausflugsfahrt, die den Mitreisenden nicht nur einen interessanten Stadtrundgang unter Führung des aus Neukirchen beim Hl. Blut stammenden Experten für deutsch-tschechische Geschichte und Lehrbeauftragten an der Westböhmischen Universität Pilsen, Christoph Mauerer, sondern auch einen Rundgang über den stimmungsvollen Weihnachtsmarkt der westböhmischen Metropole ermöglichte. -wo-
Die in Neunburg vorm Wald beheimatete Akademie Ostbayern Böhmen (AOB) wollte bei einer nicht alltäglichen Stadtführung in Pilsen Zeugnissen des deutsch-tschechischen Neben- und Miteinanders nachspüren. Christoph Mauerer, Lehrbeauftragter an der Westböhmischen Universität Pilsen, führte die Reisegruppe aus der Oberpfalz auf die Spuren deutscher Kultur. Erste Anlaufstation war im altehrwürdigen Rathaus der 170 000-Einwohner-Stadt ein großes Stadtmodell. Hier bekam die Reisegruppe einen umfassenden Überblick über die viertgrößte Stadt Tschechiens. Recht klein kamen sich die Besucher anschließend auf dem Platz der Republik mit der beherrschenden St.-Bartholomäus Kathedrale und seinem 102 Meter hohen Turm vor. Hier am etwa 140 mal 190 Meter größten Marktplatz Europas, wo sich einst die Deutsche Bibliothek befand, startete die Tour über die frühere Salzgasse rund um die Altstadt.
Christoph Mauerer (2. von links, neben Reiseleiter Johann Fischer) führte die Gruppe der Akademie Ostbayern-Böhmen durch die Altstadt von Pilsen auf den Spuren des tschechisch-deutschen Neben- und Miteinanders.
Schon früh im Mittelalter gab es wirtschaftliche Beziehungen zu Böhmen. Alte Verkehrswege verbanden Regensburg mit Pilsen und Prag. Deutsche Kaufleute und Gewerbetreibende siedelten sich hier an und bildeten den Kern der deutschen Einwohnerschaft. Auch aus dem deutsch-besiedelten Umland und den Alpenländern ließen sich hier die Menschen nieder. Circa ein Zehntel der Pilsener Stadtbevölkerung war vor etwa 100 Jahren deutschsprachig. Bereits zehn Kilometer westlich der Stadt verlief die Sprachgrenze. Zudem waren deutschsprachige Ortschaften des geschlossenen deutschen Sprachraums des Egerlandes in unmittelbarer Nähe. Christoph Mauerer, der das Alltagsleben in seiner Dissertation erforscht, wusste auch von einem Nordbayrischen Dialekt zu berichten, den die Menschen hier ähnlich wie er in der Oberpfalz gesprochen wird, haben.
Viele Deutschböhmen pendelten auch aus dem Egerland regelmäßig zum Schulbesuch, zur Arbeit nach Pilsen oder um alltägliche Besorgungen zu erledigen. Spuren der Deutschen Kultur lassen sich heute ohne profunde Führung gar nicht so einfach finden, wenngleich Tschechen und Deutsche lange Zeit eine gemeinsame Kultur hatten. Die Westböhmische Stadt hat natürlich weit mehr zu bieten als Pilsner Bier und die Skoda-Werke. Da die Altstadt während des Krieges von einem Bombardement verschont blieb, sind zahlreiche alte Gebäude mit herrlichen Fassaden erhalten geblieben. „Viel Deutsches musste nach dem Zweiten Weltkrieg ganz verschwinden oder wurde kurzerhand umbenannt“, wusste der gebürtige Neukirchener (b. Heiligen Blut) zu berichten. Aus den Straßenbezeichnungen „Salzgasse“ wurde „Solni“ und aus der Goethegasse wurde die „Goethova“, in deren Nähe sich auch das Deutsche Haus (Treffpunkt der deutschen Vereine) sowie das Deutsche Theater Pilsens befanden. Am Großen Theater vorbei ging es zum Smetana-Park, wo sich einst das Deutsche Gymnasium befand. Benannt ist die Grünanlage nach dem Komponisten Bedrich Smetana, hier absolvierte der Musiker von 1840 bis 1843 in deutscher Sprache die letzten Jahre seiner schulischen Ausbildung am Prämonstratenser-Gymnasium. Die Gymnasiallehrer wurden einst vom Prämonstratenser Stift Tepl gestellt, die hier auch die deutschsprachige Seelsorge übernahmen. Heute befindet sich an der Smetanovy sady die wissenschaftliche Bibliothek Pilsens.
Vorweihnachtliche Kulissen in Pilsen
Christoph Mauerer, der auch Doktorand an der Universität Prag ist, erzählte zudem, dass in Pilsen eine bedeutende deutsche Minderheit lebte. Der Krieg veränderte jedoch viel. Die Zeit des Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg hatten insbesondere den jüdischen Mitmenschen arg zugesetzt. Um 1938 lebten etwa 3000 Juden in der Stadt, die fast alle in die Vernichtungs- und Konzentrationslager geschickt wurden. Zeugnis davon legt heute die jüdische Synagoge, die zweitgrößte Europas, ab. Nach dem Krieg wurde auch die sudetendeutsche Bevölkerung vertrieben. Die kommunistische Regierung der einstigen CSSR zerstörte weitgehend die Zeit der gemeinsamen Kultur. Mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen senkte sich der Eiserne Vorhang zwischen den Ländern. Der Kalte Krieg begann. Bis 1989 war das Land wirtschaftlich und kulturell von Deutschland getrennt. Heute pflegt man wieder rege Beziehungen. Mit Regensburg wurde 1993 eine Städtepartnerschaft eingegangen. 2015 wurde Pilsen sogar zur Kulturhauptstadt Europas ernannt.
Vor der heute zweitgrößten Synagoge Europas (links), Blick über den Marktplatz zum Alten Rathaus Pilsens (Alle Fotos: Hans-Peter Weiß)
Die Akademie Ostbayern ist seit 2016 mit der hiesigen Universität freundschaftlich verbunden. Hier hat auch die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer (DTIHK) ihren Sitz, die deutsche und tschechische Firmen berät. Außerdem befindet sich hier das Koordinierungszentrum des Deutsch-Tschechischen Jugendaustausches TANDEM, das die grenzüberschreitende Jugendarbeit und deutsch-tschechische Sprachanimationen organisiert. Im zweisprachigen deutsch-tschechischen Kindergarten „Junikorn“ können schon die Kleinsten Grundlagen der deutschen Sprache erlernen. Der Germanistik-Lehrstuhl an der Philosophischen Fakultät der Westböhmischen Universität hat es sich zum Ziel gesetzt, im Masterstudiengang „Areal-Studien – Bayern-Studien“ Fachleute für die grenzübergreifende Zusammenarbeit auszubilden.
Eine besondere historische Verbindung besteht noch bis heute zu Vilshofen an der Donau. Im Frühling des Jahres 1842 machte sich der Braumeister Josef Groll auf den Weg nach Böhmen. Er sollte im Auftrag der brauberechtigten Bürger im neuen Brauhaus ein besseres Bier brauen. Der Bayer kreierte das erste Pilsner Urquell, das heute noch jeden Bierliebhaber erfreut. Mit dem Besuch der westböhmischen Universitäts- und Bistumsstadt Pilsen beendete die Akademie Ostbayern Böhmen das kulturelle Programm 2022.
Von Kollegiumsmitglied Hans-Peter Weiß