Da der Autor sich dem Bildungsbürgertum zurechnet, darf er mit einem Schiller-Zitat beginnen: Aus dem Prolog zur „Wallenstein“-Trilogie: „Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt schwankt sein (Wallensteins, N.d.A.) Charakterbild in der Geschichte“. Dabei sollen unter „Charakter“ nicht nur die höchstpersönlichen Eigenschaften der betreffenden Figur zu verstehen sein, sondern auch und vor allem deren historische Leistungen, oder auch deren Versagen.

Das Thema stellt sich ganz besonders für unseren „Jubilar“, den österreichischen Staatskanzler Metternich. Für die einen war er ein Friedensfürst, der durch den Wiener Kongress von 1814/15 Europa nach den Wirren der Französischen Revolution und nach Napoleons Militarismus eine nachhaltige Phase der Ruhe bescherte, die, wenn auch mit Abstrichen, ein ganzes Jahrhundert bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges währte. Für die anderen war er ein starrsinniger Reaktionär, der den Völkern nach dem Wiener Kongress keine freie Entwicklung gönnte und sich dadurch an einem der liebsten Kinder des europäischen Denkens verging, dem gesellschaftlichen und politischen Fortschritt. Metternichs Geburtstag nun fiel auf den 15. Mai 1773, jährt sich heuer also zum runden 250. Mal.

Der silberne Löffel im Mund

Clemens Wenzeslaus Lothar von Metternich-Winneburg-Beilstein kam in Koblenz am Zusammenfluss von Rhein und Mosel zur Welt. Seine ersten beiden Vornamen bekam er gemäß seinem Taufpaten, dem Kurfürsten von Trier (Koblenz lag auf kurtrierischem Territorium). Dieser stammte aus der sächsischen Dynastie der Wettiner (albertinischer Zweig) und war tatsächlich ein Enkel des weitberühmten „August des Starken“. Den „Lothar“ bezog der Täufling in Gedenken an den wohl bedeutendsten seiner Vorfahren, den Trierer Erzbischof und Kurfürsten Lothar von Metternich, der mit Rat und Tat am Beginn des Dreißigjährigen Krieges mitgewirkt hatte. Ferner waren sogar zwei Erzbischöfe von Mainz in der Ahnenreihe, die von Amts wegen den Rang eines „Erzkanzlers“ des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation innegehabt hatten.

Sein Vater war Graf Franz Georg Karl von Metternich-Winneburg-Beilstein, Staatsminister des Kurfürstentums Trier und Erbkämmerer des Erzstiftes Mainz. Vorher hatte er als bevollmächtigter Minister von Kurtrier am Kaiserhof fungiert. Ab 1773 war er als „Geheimer Rat“ in offiziellen österreichischen Diensten. Die Mutter war selbstverständlich standesgemäß: Maria Beatrix Aloisia aus dem im habsburgischen Breisgau hoch angesehenen und begüterten Hause derer von Kageneck.

Man sieht, Clemens wurde mit dem sprichwörtlichen silbernen Löffel im Munde geboren. Seine Urahnen waren Dienstmannen des Erzbischofs von Köln gewesen, mit dem Stammsitz im Ort Metternich, ein wenig westlich von Bonn gelegen. In Metternich steht eine Wasserburg, die sich heute noch sehen lassen kann und früher ebenfalls einer Adelssippe namens Metternich gehörte – aber nicht derjenigen, aus der unser Staatskanzler stammte. Vielmehr gibt es in Metternich noch Reste einer Burg namens „Haus Velbrück“, und die stellte die Vorfahren von Clemens Wenzeslaus Lothar. Sie dürfte (zumindest) bis in das 12. Jahrhundert zurückreichen, in die Zeit von Kaiser Friedrich Barbarossa.

Der Ursprung der gräflichen Familie von Metternich liegt im Rheintal (Foto: Wolfgang Otto)

Woher kommt nun der Zusatz „Winneburg-Beilstein“? 1652 erwarben die Metternichs die Herrschaften Winneburg (nahe Cochem an der Mosel) und Beilstein, knapp südlich von Cochem, direkt an der Mosel gelegen, mit einer romantische Bedürfnisse durchaus befriedigenden Ruine, die heute „Burg Metternich“ genannt wird. Im Jahre 1679 erhob der habsburgische Kaiser Leopold I. diese Herren in den Stand von Reichsgrafen. Damit durften sie auf dem, damals in Permanenz tagenden, Reichstag zu Regensburg Mitglieder des „Niederrheinisch-Westfälischen Reichsgrafenkollegiums“ werden und dort bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches (1806) mitstimmen.

Clemens entwickelt sich

Clemens sah gut aus, hatte einen blonden Haarschopf sowie eine glänzende Auffassungsgabe und konnte gesellschaftlich gewandt und intelligent parlieren. Sein Vater schickte ihn auf die Universität Straßburg, wo er unter anderem Staatsrecht hörte, so auch bei einem Professor, dem Persönlichkeiten zu Füßen saßen, die später ebenfalls wichtig wurden, wie Talleyrand, fintenreicher Außenminister der Französischen Republik und Napoleons, der bayerische Reformminister Montgelas, auch der junge Freiherr vom Stein, der polternde, hochmoralische preußische und Reichs-Patriot.

Die Studien unseres Kandidaten wurden leichthin getrieben, quasi wie zum Zeitvertreib. Das entsprach seiner aristokratischen Herkunft und dem Lebensgefühl der Kavaliere seinesgleichen in der damaligen Zeit des „ancien régime“. Erste Amouren stellten sich ein. Seine Gegner warfen ihm später auch in ernsten, womöglich katastrophenträchtigen Angelegenheiten immer wieder „Leichtsinn“ vor. Der stammte, außer aus seinem Naturell, auch von seiner Herkunft aus der Rokoko-Zeit, die nun einmal die Prägephase seiner Persönlichkeit war. 

Dann kam der Donnerschlag des Sturmes auf die Bastille (14. Juli 1789) und damit die das ancien regime umkrempelnde, große Französische Revolution, deren radikale Forderungen nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der hierarchisch penibel austarierten Adelsgesellschaft den Kampf ansagten. Auch in Straßburg brodelte es stark im Volke, Jakobiner traten auf, Clemens verließ diese Stätte also lieber.

Weiter nördlich, in Frankfurt, war die Welt noch in Ordnung. Dort fand am 9. Oktober 1790 mit allem traditionellem Pomp die Kaiserkrönung Leopolds II. statt, eines der Söhne Maria Theresias. Und Clemens durfte mitwirken, als Zeremonienmeister der katholischen Abteilung des niederrheinisch-westfälischen Grafenkollegiums. Zeit seines Lebens blieb er angetan von diesem „erhabensten und gleichzeitig prachtvollsten Schauspiel“, das einen „edlen Nationalgeist“ zeigte, gemeint ist wohl: im Gegensatz zum pöbelhaften Nationalismus der Straßburger Jakobiner.

Avers und Revers der Medaille zur Krönung Kaiser Leopold II. (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

Dann ging er ins nahe Mainz, um noch ein bisschen zu studieren, auf seine Art eben. Hier wurde er vertraut gemacht mit der regulativen Idee des „europäischen Gleichgewichtes“, der er, was sein machtpolitisches Kalkül betraf, bis zu seinem Sturz (1848) treu blieb. Die Idee besagte, dass keine der europäischen Mächte so stark werden durfte, dass sie für die anderen die Gefahr einer Hegemonie heraufbeschwor. Falls eine Macht Gewinn machte, mussten die anderen dafür Kompensationen bekommen. Das klassische Beispiel für die Wirksamkeit dieser Auffassung war das Schicksal, das die polnische Adelsrepublik im Jahre 1772 erlitt. Da drohten Russlands Erfolge im Krieg gegen den osmanischen Sultan dieses Gleichgewicht in Frage zu stellen. Deswegen kamen Preußen, Österreich und die Zarin von Russland überein, die schwache Adelsrepublik unter sich aufzuteilen. Preußen riss den Landkorridor zwischen Pommern und Ostpreußen an sich, Russland rückte im Osten an die Düna und den Lauf des mittleren Dnjepr vor, Österreich nahm sich Galizien bis zur Weichsel und bis nach Tarnopol. 1793 und 1795 weitere Teilungsoperationen, bis die gesamte Adelsrepublik von der Landkarte verschwunden war.

Ein wesentlicher Lebensmittelpunkt des Staatskanzlers Fürst von Metternich war das Schloss Königswarth (Kynžvart) in Westböhmen. Von seinem Vater zum Geburtstag geschenkt erhalten, ließ er das im Ursprung auf das 10. Jahrhundert zurückgehende Gebäude ab 1821 im Stil des Klassizismus umbauen (Foto: Wolfgang Otto).

Diese Art von Länderschacher ohne Rücksicht auf die Untertanen sollte auch ein Kernpunkt metternichscher Außenpolitik werden, besonders auf dem Wiener Kongress 1814/15. Sagen wir etwas Positives dazu: der Länderschacher im Dienste des „europäischen Gleichgewichts“ war eine rationale Idee, und Clemens war ein Rationalist, trotz seiner Herkunft nur ein bisschen katholisch, was den Glauben anbetraf, und an den Gedanken der Französischen Revolution war schon mal deren Idealismus nicht seine Sache.

Der kurfürstliche Hof zu Mainz war sicherlich vergnüglicher, denn da ging es recht rokoko-mäßig-freizügig zu, mit hinreichend vielen und schönen Gesellschaftsdamen, denen Clemens zu gefallen verstand, und die sein Bewusstsein dafür schärften, wie viel gerade auch in politischen Angelegenheiten auf den Einfluss der Frauen ankommt, vor und hinter den Kulissen.

Die Karriere beginnt

Wir machen einen beherzten Zeitsprung in der Karriere des im kaiserlichen Fahrwasser segelnden Lebemannes und lassen der Kürze halber auch seine diversen Liebschaften aus. Mit denen hat er ungeheuer viel Zeit vertan, auch wenn er seit August 1795 mit Eleonore verheiratet war, der Enkelin des ehemaligen Staatskanzlers Maria Theresias, des Fürsten Kaunitz. Jedenfalls öffnete die ihm, dem von den französischen Revolutionsarmeen vertriebenen Flüchtling aus den katholischen Rheinlanden, die Türen zu der tonangebenden Wiener Gesellschaft und sogar zum Kontakt mit dem Kaiser, dem seit Leopolds II. Tod (1792) herrschenden Franz II., dem Sohn Leopolds.

Unserem Kavalier wurde eine Stellung als Botschafter angeboten, denn der Kaiser mochte ihn, der die Aalglätte eines perfekten Höflings mit dem Eindruck zu verbinden wusste, in ihm stecke ein zu förderndes politisches Talent. Er durfte wählen zwischen der Gesandtschaft in Dänemark, der Repräsentanz des habsburgischen Königreiches Böhmen am Reichstag zu Regensburg, und dem Posten beim sächsischen Kurfürsten in Dresden. Dänemark war ihm zu weit, Regensburg wollte er nicht, denn dorthin würde er gehen, „einzig um dem Leichenbegängnis des edlen Deutschen Reiches beizuwohnen“. Also entschied er sich für Dresden und ging 1801 dorthin ab.

Zur Erklärung des Ausdrucks „Leichenbegängnis“ müssen wir ein wenig ausholen. Der erfahrene alte Kaunitz, der Großvater von Eleonore, hatte einen Krieg der Monarchen gegen das revolutionäre Frankreich, um dort dem bedrängten König Ludwig XVI. zu helfen, als den „Gipfel der Torheit“ bezeichnet. Eben den aber erklomm Österreich, zu Beginn im Bunde mit Preußen, und handelte sich damit den von General Bonaparte diktierten Frieden von Campoformio (1797) ein, der den mittlerweile republikanischen Franzosen de facto, wenn schon nicht de jure, das gesamte linke Rheinufer überließ. Mit dem Reich selbst hätte das noch verhandelt werden müssen. Das sollte auf einem Kongress zu Rastatt in Baden geschehen, an dem auch Clemens teilnehmen musste, zusammen mit seinem Vater, aber dabei kam nichts Definitives heraus. Die kaiserlichen Bevollmächtigten taten nichts, um den Franzosen die Rheingrenze im Interesse der Integrität des Reiches, dessen Oberhaupt dieser Kaiser Franz II. ja doch wohl war, streitig zu machen.

Aber in Wien schmiedete man ein neues Kriegsbündnis gegen Frankreich, zusammen mit Russen, Briten und sogar dem Osmanischen Reich. Auch dieser Krieg endete mit einer Niederlage Österreichs, die durch den Frieden von Lunéville (Februar 1801) besiegelt wurde und die Rheingrenze nun auch de jure festlegte. Es folgten die Verhandlungen auf dem Reichstag zu Regensburg. Da war nämlich das riesige Geschäft zu erledigen, den weltlichen Fürsten, die links des Rheines Besitzungen an Frankreich verloren hatten, rechts des Rheines Kompensationen zu verschaffen. Das ging aber nur auf Kosten der zahlreichen geistlichen Fürstentümer, wie sie im Heiligen Römischen Reich seit Jahrhunderten bestanden, ihre zuverlässige Stütze stets am katholischen und habsburgischen Kaiser gehabt hatten und daher für dessen Einfluss im Reich eigentlich unverzichtbar waren. Doch nun rollte eine verfassungsmäßig schlicht als revolutionär zu bezeichnende Welle über das alte Reich, die als „Säkularisation“ zusammengefasst werden kann. So entsprach es aber dem unwiderstehlichen Zeitgeist, der in der antiklerikalen Phase der „Aufklärung“ des 18. Jahrhunderts herangewachsen war. Auch kleinere weltliche Territorien, darunter 46 von insgesamt 51 „Freien Reichsstädten“, standen nun plötzlich zur Disposition.

Gegen so etwas war der Kaiser machtlos, da er den letzten Krieg verloren hatte, und musste geschehen lassen, was das siegreiche Frankreich, wo Bonaparte bereits die Macht übernommen hatte, zusammen mit dem russischen Zaren dirigierte, denn Russland galt seit 1779 als einer der „Garanten“ der Reichsverfassung. Das Ergebnis war der berüchtigte „Reichsdeputations-Hauptschluss“ vom 25. Februar 1803, mit den hauptsächlichen Nutznießern Preußen, Baden, Württemberg und Bayern.

Da haben wir es: wenn die beiden europäischen Flügelmächte, Frankreich und Russland, sich einig waren, dann schrieben sie der Mitte Europas ihre Gesetze vor.

Clemens in Dresden

In dieser Phase ging Clemens nach Dresden. Seine Instruktionen hatte er sich selbst geschrieben, wie das in höheren, vertrauensvoll verbundenen Kreisen nicht unüblich war und ist. Der Text zeugt von Metternichs politischem Weitblick und schlägt zudem Themen an, die für ihn bis zum Ende seiner politischen Karriere bestimmend bleiben sollten. Österreich müsse nach Lunéville seine Kräfte neu sammeln, um wieder als Großmacht auftreten zu können. Und zwar, um das Staatensystem wieder herzustellen, wie es vor der Revolution bestanden hatte. Es ging also, kommentieren wir, nicht darum, aus der Revolution ein Bedürfnis nach staatlicher Neuformierung abzuleiten, sondern darum, wie man zum Status quo ante zurückkehren könnte. Rücksichtnahme auf gesellschaftliche Veränderungen war ausgeblendet – typisch auch noch für den späteren Metternich.

Es ging um die erneute Etablierung des „Europäischen Gleichgewichts und der allgemeinen Ruhe“. Die polnische Adelsrepublik war ausgelöscht worden, Österreich hatte daran nur mitgewirkt, um Europa nicht allzu sehr aus dem Gleichgewicht geraten zu lassen. Aber das hatte auch bedeutet, dass Russland nun bedrohlich an Mitteleuropa herangerückt war, und Preußen war durch den Erwerb umfangreicher polnischer Territorien zu einer veritablen Großmacht geworden, die es unter Friedrich dem Großen letztlich noch nicht gewesen war.

In den letzten Kriegen hatte England seine See- und Kolonialmacht ungemein gestärkt. Verdienstvoll war, dass Metternich insofern den Horizont über den Bereich des Kontinents hinaus weitete – aber in Übersee eingreifen, daran war für Österreich nicht zu denken. Allenfalls noch Frankreich konnte das (1801 war die entscheidende Seeschlacht von Trafalgar, die das unmöglich machte, noch nicht geschlagen). Aber gerade das expansive Frankreich war auf dem Kontinent der Hauptfeind des Gleichgewichts. Zusätzlich zur Rheingrenze kontrollierte es die Niederlande und hatte in Oberitalien „Schwesterrepubliken“ ins Leben gerufen. Frankreich und England müssen reduziert werden. Aber auch Preußen, indem Österreich Sachsen stärkt. Zudem will Preußen sich des ansehnlichen Kurfürstentums Hannover bemächtigen. Sachsen hat seine festeste Stütze am Kaiser, andere deutsche Staaten haben es ebenso, um Preußen in Schach zu halten. Hier taucht das Kalkül auf, sich den anderen deutschen Staaten gegen Preußen anzudienen – später ein wesentliches Element in der Konstruktion des „Deutschen Bundes“ von 1815.

Botschafter in Berlin

1805 wurde Metternich als Botschafter nach Berlin versetzt, das sicherlich ein wichtigerer Posten als Dresden war. Bekanntlich folgte noch im selben Jahr die Niederlage der Österreicher und Russen gegen Napoleon in der Schlacht von Austerlitz (2. Dezember). Es war unserem „Helden“ nicht gelungen, Preußen mit in den Krieg zu ziehen, was für Napoleon hätte fatal werden können. Aber Metternichs diplomatisches Unvermögen trug daran nicht die Schuld, sondern die Zumutung des Zaren, seine Truppen durch preußisches Gebiet ziehen lassen zu wollen, sowie die schwankende Haltung in Berlin, wo man nicht daran dachte, dass man nach Österreich als nächster an der Reihe sein könnte.

Metternich hatte auf seinem Posten in Berlin bereits zutreffend erkannt, dass die preußische Armee von ihrer Leistungskraft seit der Zeit Friedrichs des Großen mittlerweile ziemlich heruntergekommen war. Er hatte eben den unbestechlichen „oeil“, den „Blick“, wie ihn auch seine späteren Gegner anerkannten, für die Schwächen seiner Partner. Das war eine Eigenschaft, die ganz und gar nicht mit seiner kavaliershaften „Leichtigkeit“ zusammen ging, und ohne die er nicht zu einem der dominierenden Politiker Europas seiner Epoche hätte werden können. Er hat, auch aus persönlichen Eindrücken heraus, Charakterisierungen des Erzfeindes Napoleon geschrieben, die den Vergleich mit keinem anderen Analytiker dieses „korsischen Monsters“ scheuen müssen.

Nur zu bald erlitten die Preußen bei Jena und Auerstedt gegen Napoleon zwei ungeheuerliche Niederlagen (Oktober 1806), und im Friedensvertrag von Tilsit (Juli 1807) wurde ihr Staat auf etwas weniger als die Hälfte reduziert.

Tragen wir kurz nach, dass Napoleon inzwischen auch das gesamte italienische Festland unter seine Kontrolle gebracht hatte, und dass er durch die Verbindung der kleineren und mittleren deutschen Staaten unter seinem „Protektorat“ im „Rheinbund“ (1806/1807) das Heilige Römische Reich derart zerstört hatte, dass Kaiser Franz II. realistischerweise keine andere Wahl blieb, als dessen Krone am 6. August 1806 offiziell niederzulegen. Er war nun ausschließlich Franz I. vom „Kaisertum Österreich“, wozu er sich schon 1804 erklärt hatte, um seinen Status zu halten angesichts dessen, dass Bonaparte verkündet hatte, sich zum Kaiser der Franzosen zu machen (Krönung in Notre Dame, 2. Dezember 1804).

Charles Ètienne Pierre Motte: Huldigung Napoleon I. durch die Fürsten des „Rheinbundes“ im Juli 1806 (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

Fehlkalkulation

Da der Feind des europäischen Gleichgewichts derartige Fortschritte machte, verfiel man ausgerechnet im Österreich des ebenso absolutistischen wie ängstlichen Kaisers Franz auf das Mittel des Widerstandes, die Kräfte des Volkes zu entfesseln. Das ging schief, da es im Krieg von 1809 zu einer weiteren Niederlage des Kaiserstaates gegen Frankreich und dessen deutsche und italienische Verbündete führte. Für uns ist dabei wichtig, dass Metternich seine politische Flexibilität unter Beweis stellte, indem er von seinem inzwischen in Paris bezogenen Botschafterposten zu diesem Volkskrieg riet. Damit hatte er sich verkalkuliert, aus verschiedenen Gründen.

Napoleons Truppen waren zwar im Volksaufstand gebunden, der gegen ihn wegen seines Zugriffes auf Spanien dort ausgebrochen war, aber gegen den österreichischen Angriff brachte er noch rechtzeitig genügend Mannschaft zusammen. Die österreichische Armee war zwar nach 1805 einer gründlichen Reorganisation unterworfen worden, aber dieser Prozess war noch nicht abgeschlossen. In Wien hoffte man, untermalt von entsprechender Rhetorik, auf die Unterstützung deutscher und besonders preußischer Patrioten – die kam aber nur höchst unzureichend zustande (der bekannteste Fall: die Expedition des Majors Schill). Der Tiroler Volksaufstand unter Andreas Hofer musste trotz allen Heldenmutes angesichts der Übermacht napoleonischer Einheiten scheitern. Die Briten, dauernde Feinde Napoleons, halfen nur mit einer ziemlich schwächlichen Landung auf der Insel Walcheren (Schelde-Mündung). Der russische Zar Alexander I. hielt sich zurück, denn er war offiziell mit Napoleon verbündet, schickte aber nur ein Korps gegen Galizien, das nicht viel ausrichten musste, da der Zar den Einflüsterungen des bei Napoleon in Ungnade gefallenen Außenministers Talleyrand unterlag, dass Österreich als Gegenmacht gegen Napoleon nicht lädiert werden sollte. Metternich war in Paris anderen Einflüsterungen aufgesessen: da hatten der tückische Talleyrand und der nicht minder tückische Polizeiminister Fouché ihm suggeriert, das französische Volk verabscheue Napoleons andauerndes Kriegführen, das Regime sei daher nicht stabil. Aber die Zeit war noch nicht reif für ein Vorgehen in großem Stil.

Hochinteressant für unseren „Helden“ ist dabei, dass er auf einmal die freiheitliche Leidenschaft der Völker guthieß. Das war ihm später, als Außenminister und Staatskanzler, ein unüberbietbarer Gräuel. Es zeugt für 1809 von seiner Fähigkeit als politischer Wendehals, in den regierenden Kreisen Wiens kein seine Karriere gefährdendes Missfallen dadurch zu erregen, dass er gegen die dort gerade herrschende Stimmung argumentierte.

Endlich Außenminister

Die Niederlage von 1809 schlug sogar zu seinem Vorteil aus, denn die Verantwortung für das Desaster musste nun der Außenminister Philipp Graf Stadion übernehmen, der zusammen mit der Kaiserin das Haupt der Kriegspartei gewesen war. An seine Stelle trat Metternich, der sich in Paris als kompetenter Gesprächspartner Napoleons durchaus bewährt hatte, so sehr, dass dieser von ihm sagte: „Herr von Metternich ist auf dem besten Wege, ein Staatsmann zu werden – er lügt schon ganz hübsch“. Auch hatte er in Paris angesichts der aktuellen französischen Übermacht bis zur Vollendung gelernt, was zu einer seiner hauptsächlichen Taktiken wurde: das Lavieren, neben dem Heucheln eine brauchbare Waffe des Unterlegenen.

In ganz diesem Sinne trug er, wenige Tage nach seiner Ernennung zum Nachfolger Stadions, dem Kaiser vor (der Friedensvertrag mit Napoleon war noch in Verhandlung): „Welches immer die Bedingungen des Friedens sein werden, das Resultat wird immer darauf hinauslaufen, dass wir unsere Sicherheit nur in unserer Anschmiegung an das triumphierende französische System suchen können….Meine Grundsätze sind unwandelbar, aber gegen die Notwendigkeit lässt sich nicht streiten….Wir müssen also vom Tage des Friedens an unser System auf ausschließliches Lavieren, auf Ausweichen, auf Schmeicheln beschränken. So allein fristen wir unsere Existenz vielleicht bis zum Tage der allgemeinen Erlösung“. Also war hinzunehmen, dass der folgende Friedensvertrag von Schönbrunn (14. Oktober 1809) Österreich Salzburg, das Innviertel bis zum Hausruck, Görz und Fiume (Rijeka), die dalmatinische Küste plus den westlichen Teil Kärntens entriss und eine saftige Kriegsentschädigung vorsah.

Die erste wichtige „Anschmiegung“ der Folgezeit bestand darin, dass Kaiser Franz schweren Herzens in die Hochzeit seiner Tochter Marie Luise mit Napoleon einwilligte, ganz im Sinne seines neuen Außenministers. Denn der Emporkömmling Bonaparte, gerade mal aus korsischem Kleinadel stammend, spürte schmerzhaft seinen Mangel an traditionsgesättigter Legitimität. Eine russische Großfürstin aus dem Hause Romanow hätte er auch gerne gehabt, bekam sie aber nicht. Na, die Habsburger waren sogar eine um einige Jahrhunderte ältere Dynastie als die Romanow.

Das führt uns zur zweiten wichtigen „Anschmiegung“. Ab Ende 1811 war Napoleon entschlossen, Russland anzugreifen – die Gründe für dieses kolossale Unternehmen überspringen wir. Metternich akzeptierte, dass ein österreichisches Armeekorps die Aufgabe bekam, den Angriff, den Napoleon auf der Linie Wilna-Smolensk-Moskau führen wollte, in der südlichen Flanke abzudecken. In den Vorverhandlungen spielte auch eine Rolle, dass Preußen ebenfalls ein Truppenkontingent zur Verfügung stellen musste. Denn wenn es sich auf Russlands Seite zu stellen gewagt hätte, oder sich auch nur neutral erklärt hätte, dann hätten die Franzosen und deren Verbündete auf ihrem Anmarsch nach Russland dieses sowieso schon radikal verkleinerte Königreich ausgesogen, niedergetrampelt, und es wäre irgendwie aufgeteilt worden – wobei Österreich auf den Wiedererwerb Schlesiens hätte hoffen dürfen, der ihm von Napoleon unter der Hand angeboten wurde. Metternich hätte zugegriffen, was den anti-preußisch eingestellten Militärs der Donaumonarchie entgegengekommen wäre, und damit die politische Basis des Ministers bei Hofe stabilisiert hätte. Und Schlesien wäre wenigstens ein reeller Gewinn aus der „Anschmiegung“ gewesen, nachdem ein solcher sich, ungeachtet der Aufopferung der Erzherzogin Marie Luise, durchaus noch nicht eingestellt hatte.

Auch Metternichs Triumph

Die militärische Katastrophe Napoleons auf seinem Russlandfeldzug von 1812, die größte der bisherigen Militärgeschichte überhaupt, hatte Metternich, zusammen mit vielen anderen Zeitgenossen, nicht für möglich gehalten. Doch im Dezember, nachdem Napoleon die letzten Reste seiner Armee per Reiseschlitten verlassen hatte, schien die 1809 getrogene Hoffnung auf die „Tage der Erlösung“ Wirklichkeit zu werden. Denn Preußen trat nun doch auf Russlands Seite, und beide entschlossen sich, den Krieg über den Grenzfluss Njemen hinaus weiter zu führen, und rückten über Weichsel, Oder und Elbe nach Westen vor.

Metternich blieb erst mal in der Deckung, gänzlich unberührt vom kriegerischen Befreiungs-Patriotismus, der besonders in Preußen breite Schichten der Bevölkerung hinriss. Einer der jüngeren Brüder des Kaisers, Erzherzog Johann, hielt hingegen sehr viel von Aufständen des gesamten Volkes, auch wenn die Idee 1809 keinen durchschlagenden Erfolg gebracht hatte, und konspirierte daher um die Jahreswende 1812/13 zwecks Gründung eines „Alpenbundes“. Alle Länder der Ostalpen sollten zu Ostern 1813 gegen die dortigen Napoleon-hörigen Obrigkeiten, darunter das Königreich Bayern, zu den Waffen greifen. Ausstrahlung nach Süddeutschland war erwünscht, und die Briten würden ihre Hilfe in Fiume (Rijeka) landen. Die Verschwörung wurde aber bald verraten und unter Metternichs Regie unschädlich gemacht, und Erzherzog Johann durfte sich in Wien nicht mehr sehen lassen.

Diese Episode weist auf das grundsätzliche Problem hin, vor dem der Leiter der österreichischen Außenpolitik in der nun ausbrechenden Kampfzeit von 1813/14 stand: er wollte die napoleonische Hegemonie loswerden, aber das ging nur im Bündnis mit Russland und Preußen. Metternichs klügster Propagandist, der aus Breslau stammende Friedrich von Gentz, hatte mit seiner flinken und brillanten Feder schon seit 1802 gepredigt, dass gegen das französische Übergewicht die beiden deutschen Großmächte Österreich und Preußen zusammenstehen müssten, sonst sei ein Erfolg nicht abzusehen. Aber die martialischen Preußen mit ihren Freikorps, ihrem chauvinistischen Turnvater Jahn und den franzosenfressenden Militärs Scharnhorst, Gneisenau und Blücher, die ihrem allzu bedächtigen König das Gesetz des Handelns auferlegten, standen für die Entfesselung der Massen, so wie es der „Alpenbund“ geplant hatte.

Im Zusammenspiel mit Erzherzog Johann wurde Josef Freiherr von Hormayr 1812/13 Gegenspieler Metternichs. Es gelang diesem jedoch, die Freiheitskämpfer auszuschalten, so dass der Volksaufstand im Rahmen des „Alpenbundes“ ausfiel (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

Metternich, in dieser Hinsicht vollkommen einig mit Kaiser Franz, sah diese Entfesselung als eine Spätfolge der Französischen Revolution, die das geheiligte Gottesgnadentum der seit Jahrhunderten etablierten Fürsten durch die Volkssouveränität, am Ende gar durch die Republik ersetzt hatte. An einem Bündnis mit Preußen, also auch mit dem Zaren, ging jedoch kein Weg vorbei. Es kam also einerseits darauf an, die napoleonische Hegemonie in Europa, die letztlich eine Ausgeburt der Revolution war, abzuschütteln. Dann konnte Österreich wieder zu der Großmacht aufsteigen, die es im 18. Jahrhundert gewesen war. Aber andererseits sollte, siehe die erwähnte, selbst erteilte Instruktion von 1801, gleichzeitig die Wiederherstellung der alten Gesellschafts- und Staatenordnung auf der Tagesordnung stehen. Es war die große Lebensleistung Metternichs, dass er von 1813 bis 1815 diesen Spagat tatsächlich schaffte.

Ob das zum Segen oder zum Fluche Europas ausschlug, dies ist freilich eine weitere Frage, die so kontrovers beantwortet wird, wie in der Einleitung zu diesem Beitrag bereits angedeutet.

Metternich kalkulierte, dass Russen und Preußen ihres Sieges über Napoleon, trotz dessen enormer Verluste 1812 in Russland, und obwohl der seit 1808 tobende Krieg der Franzosen gegen Briten und patriotische Spanier auf der Iberischen Halbinsel einen beständigen Aderlass für seine Armeen bedeutete, nicht sicher sein konnten, wenn Österreich nicht ihrer Koalition beitrat. Selbstverständlich war das nicht, denn Kaiser Franz war immerhin der Schwiegervater des „korsischen Monsters“. Aber in diplomatischen Etappen, die der Raffinesse seines Außenministers alle Ehre machten (und in unserer Zeit besonders von Henry Kissinger bewundert wurden), brachte Metternich die österreichische Armee auf die Seite der Alliierten, setzte sogar einen am Wiener Hofe bestens vernetzten Fürsten Schwarzenberg als den Oberkommandierenden aller verbündeten Streitkräfte durch.

So erlitt Napoleon in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig (16. bis 19. Oktober 1813) seine zweite große Katastrophe, die in der bisherigen Kriegsgeschichte auch wieder beispiellos war, und war gezwungen, sich über den Rhein zurückzuziehen. Kurz nach der Entscheidungsschlacht erhob der dankbare Kaiser Franz seinen Außenminister vom Grafen zum Fürsten.

Im Januar 1814 ging der Feldzug mit dem Einmarsch in Frankreich weiter, denn Napoleon meinte, als Usurpator müsste er nach seiner Niederlage den Thron verlieren, kämpfte also trotz erdrückender Unterlegenheit weiter. Wieviel Verlust und Leid er seinen Untertanen damit zufügte – das war ihm schon immer egal gewesen.

In all diesem Getöse verlor Metternich das eine seiner beiden Hauptziele nie aus den Augen: die Neuschaffung des „europäischen Gleichgewichts“. Das verbot, Frankreich als Faktor dieses Gleichgewichts mit Napoleon zusammen untergehen zu lassen. Der Oberkommandierende Schwarzenberg war ganz der gelehrige Hofmann, um diesem Ziel von Januar bis März 1814 durch ausgesprochen zögerlichen Vormarsch zu entsprechen. Metternich hätte nämlich Napoleon als Herren Frankreichs durchaus fortbestehen lassen, stand deswegen in für die Koalition gefährlichen Auseinandersetzungen mit dem Zaren, der den Feind als nichts Geringeres denn den Antichrist einschätzte, und mit den Preußen, die Napoleon am liebsten aufgehängt oder erschossen hätten.

Aber Talleyrand formulierte schlagend: Napoleon wollte Kaiser sein, aber nicht König von Frankreich – will sagen: in Reduktion auf die Grenzen, die Frankreich vor dem Beginn der Revolutionskriege gehabt hatte. Er lehnte alle Kompromissangebote ab, im November 1813 hatte er nicht einmal die Rheingrenze akzeptiert, die ihm doch immerhin das deutsche Rheinland und Belgien gelassen hätte. Also musste er abdanken (6. April 1814), nachdem er militärisch überhaupt nicht mehr zu retten war. Frankreich wurde wieder Königreich, die alte Dynastie der Bourbonen kam mit König Ludwig XVIII. erneut auf den Thron. Der Erzherzogin-Kaiserin Marie Luise und des 3-jährigen Söhnchens aus ihrer Ehe mit dem „Monster“ bemächtigte sich die österreichische Polizei auf gewandtem, von Metternich diskret gesteuertem Wege. Zar Alexander entwickelte sentimentale Allüren gegenüber dem „Antichrist“ und setzte daher durch, dass der Abgedankte im Wege der Gnade auf der Insel Elba, ganz in der Nähe von Frankreich, ein kleines Fürstentum zugewiesen bekam, ein „Austraghäusel“, wie die altbayerischen Bauern sagen.

Das Ende des großen Napoleons als Spielball der europäischen Mächte Spanien, England, Russland, Preußen und Österreich auf einer Karikatur des englischen Illustrators George Cruikshank (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

Dass das Metternich zu gefährlich erschien, bestätigte sich, als Napoleon am 1. März 1815 überraschend bei Cannes landete und tatsächlich wieder die Macht in Paris übernahm. Er hatte darauf spekuliert, dass die Sieger, die seit Herbst 1814 zu ihrem weltberühmten Kongress in Wien zwecks Neuordnung Europas zusammensaßen, untereinander zerstritten wären. Das waren sie auch, aber eben nur untereinander, doch gegen ihn hielten sie eisern zusammen. So erlitt er bei Waterloo (18. Juni 1815) seine allerletzte Niederlage, und die Briten verfrachteten ihn anschließend auf die südatlantische Insel St. Helena, denn die war von Europa hinreichend weit entfernt, und dort starb er am 5. Mai 1821.

Der Wiener Kongress

Womit wir zur zweiten großen Lebensleistung Metternichs gelangt sind, seinem Wirken auf dem Wiener Kongress. Österreich war durch seinen wesentlichen Beitrag zur Niederwerfung Napoleons (um den Preis einer horrenden Staatsverschuldung) wieder zu einer wirklichen Großmacht geworden, und dies verdankte es, politisch gesehen, der Manövrierkunst Metternichs. Man muss aber nicht gleich behaupten, er habe den Kongress dominiert. Das war schon deswegen nicht möglich, weil die stärkste Armee die des Zaren Alexander war, und weil der Zar politisch auf die dankbaren Preußen rechnen konnte. So wollte er mit deren Unterstützung durchsetzen, dass ihm das gesamte Polen zufiel, vom Bug bis einschließlich Posen, und seine preußischen Waffenbrüder hätten ganz Sachsen an sich nehmen dürfen, denn dessen König hatte allzu lange an Napoleons Seite ausgeharrt.

Das widersprach Metternichs Gleichgewichtsdenken aber gründlich. Denn mit Polen ragte die russische Herrschaft gewissermaßen wie mit einem Balkon nach Mitteleuropa hinein, bedrohte nicht nur Preußen, sondern durch die Grenze mit Galizien auch Österreich. Und Preußen hätte durch die Einvernahme Sachsens nicht vermittels des Erzgebirges an die Grenze zum habsburgischen Böhmen heranrücken dürfen, zusätzlich zu der schon bestehenden Grenze im schlesischen Riesengebirge. Zudem lief Österreich dann die Gefahr des preußischen Übergewichts über die deutschen Staaten. Die aber – siehe wieder die Instruktion von 1801 – waren als die Einflusszone Österreichs vorgesehen.

Die Gegnerschaft Metternichs fand Verbündete, erstens in Frankreich, das auf dem Kongress durch den alten Fürsten Talleyrand vertreten wurde. Der nutzte den Zwist der Sieger aus, um seinem bourbonischen König im europäischen Mächtespiel wieder eine gleichberechtigte Rolle zuzuweisen, verband sich also mit Österreich. Dass der König von Sachsen (durch den Beitritt zum „Rheinbund“ war er vom Kurfürsten zum König aufgestiegen) so gänzlich seines Besitzes beraubt werden sollte, widersprach dem Prinzip der monarchischen Legitimität, und das sollte nach den revolutionären und napoleonischen Umwälzungen ja wohl wieder der Angelpunkt der europäischen Staatenwelt sein! Da war Talleyrand sich mit Metternich grundsätzlich einig.

Zweitens: auch England liebte das europäische Gleichgewicht, aus dem simplen Grunde, weil jegliche Hegemonialmacht auf dem Kontinent drohte, auch auf die Meere auszugreifen, deren Kontrolle aber allein England sich vorbehalten wollte, wegen seiner weltweiten Handels- und Kolonialinteressen.

Das ikonographische Gemälde der allerhöchsten Diplomaten Europas im Rahmen des Wiener Kongresses von Jean-Baptiste Isabey wurde in zahlreichen Kupferstichen (hier von Jean Godefroy) der Nachwelt hinterlassen (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

Es hat in der britischen Außenpolitik immer wieder Phasen gegeben, wo das Land sich eben wegen dieser vitalen Interessen aus den Händeln des Kontinents heraushielt, da sie zu viel an Einsatz erforderten. Aber nun war es Metternich gelungen, noch kurz vor dem Sturz Napoleons dem britischen Außenminister Castlereagh beizubringen, dass England an der Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichts dasselbe Interesse wie Österreich habe. Begünstigt wurde seine Argumentation dadurch, dass Österreich als Partner nicht verdächtigt werden konnte, seinerseits eine Hegemonie anzustreben. Zudem war es so gut wie ausschließlich eine Landmacht. Wenn es, wie noch näher auszuführen sein wird, die Dominanz in Italien anstrebte, dann war das für Castlereagh unverdächtig, weil auf diese Weise verhindert wurde, dass Frankreich, dessen aggressives Potential weiterhin zu fürchten war, sich wieder auf der Halbinsel festsetzte, wo doch ein wesentlicher Teil der britischen maritimen Weltgeltung auf der Kontrolle des Mittelmeers beruhte. Und konkurrierender maritimer Ehrgeiz war von einem österreichisch dominierten Italien kaum zu erwarten.

Russland war nun auch eine klassische Landmacht, aber mit historisch bereits erwiesenem Ehrgeiz im Orient, das hieß damals: auf dem Balkan und gegen den osmanischen Sultan, also in der Levante. Ferner vermittelte Metternich seinem britischen Kollegen, dass Russland nach des Zaren triumphalem Einzug in Paris (1814) in Europa eine Hegemonialmacht zu werden drohte. So waren der Wahl-Österreicher und der britische Lord beide „russophob“.

Das alles zusammengerechnet ergab eine englisch-französisch-österreichische Koalition gegen die erwähnten preußisch-russischen Absichten. Aber man wollte ja in Wien aus der über zwanzigjährigen Kriegsphase wieder herauskommen, und keiner der Kontrahenten dachte ernsthaft daran, zu den Waffen zu greifen. So kam folgender Kompromiss heraus: Russland bekam ganz Polen, minus das Gebiet von Posen, das an Preußen fiel. Galizien blieb bei Österreich, etwas anderes wäre ja wohl noch schöner gewesen! Ferner fiel an Preußen nur etwa die Hälfte von Sachsen, der Lauf der Elbe von Wittenberg bis über Torgau hinaus, das meiste von der Lausitz, Leipzig bekam es nicht mehr, obwohl es auch das hätte schlucken wollen.

Bei den weiteren, von Metternich, aber nicht nur von ihm, gesponserten Ergebnissen  des Wiener Kongresses beschränken wir uns auf drei Themenbereiche, die wesentlich wurden für die politische Geschichte bis zu Bismarcks Reichsgründung 1870/71.

  1. Die Expansion des österreichischen Kaiserstaates
  2. Die Konstituierung des „Deutschen Bundes“
  3. Die Neuordnung Italiens.

Zu 1: Was Österreich in den vergangenen Kriegen an Territorien verloren hatte, musste ihm zurückgegeben werden. Das betraf das Innviertel, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Venetien, West-Kärnten, die dalmatinische Küste bis etwas über Dubrovnik hinaus. Auffallend war, worauf Österreich keinen Wert mehr legte: das waren die ehemaligen „Vorlande“ in Oberschwaben und am Oberrhein, mit Freiburg als Zentrum, sowie die belgischen Niederlande (Flandern, Hennegau, Brabant).

Der daraufhin postwendende Vorwurf der deutschen Patrioten: damit habe der Kaiserstaat die vormalige „Wacht am Rhein“ (das Lied mit diesem Titel gab es aber 1815 noch nicht) gegen Frankreich aufgegeben, damit aber auch seinem Anspruch auf die Vormacht in deutschen Angelegenheiten geschadet. Das leuchtete zwar auch Metternich ein, aber er konnte sich gegen die höheren Militärs in Wien nicht durchsetzen. Die verlangten, von ihrem professionellen Standpunkt aus zu Recht, das Territorium des Kaiserstaates müsste so kompakt wie möglich sein, also auf Außenposten verzichten.

Zu 2: Ausgangspunkt für die Neu-Organisation Deutschlands war Österreichs neu geregeltes Verhältnis zu Bayern. Wieder eine der großen Leistungen Metternichs bestand darin, dass er dies aus dem beständigen Zwist zwischen Habsburgern und Wittelsbachern endgültig herausriss und zu einer reellen Partnerschaft verwandelte. Der Zwist hatte sich durch das späte Mittelalter und dann noch durch knappe drei Jahrhunderte hindurch geschleppt, seit im Jahre 1526 die Habsburger dem Herzog von Bayern die Erbschaft des Königreichs Böhmen weggeschnappt hatten.

Napoleon hatte den Markgrafen von Baden, den Herzog von Württemberg und den Kurfürsten von Bayern damit geködert, dass er ihnen ihren riesigen Ländergewinn aus dem „Reichsdeputations-Hauptschluss“ (siehe oben) garantierte, zusammen mit einer Rangerhöhung, und sie so zu einer geballten süddeutschen Front gegen den Kaiserstaat machte. Auch sollten sie nun vollständig souverän sein, ohne eine Kaiserkrone über sich, und das gefiel ihnen ausnehmend gut, auch wenn sie ihrem „Protektor“ im „Rheinbund“ nun auf drückende Weise finanziell und militärisch zu dienen hatten.

Als im Herbst 1813 der Kampf gegen Napoleon kurz vor der entscheidenden „Völkerschlacht“ von Leipzig stand, schaffte es Bayern gerade noch rechtzeitig, die Seiten zu wechseln. Dafür versprach ihm Metternich, gegen einen gebührenden Ausgleich für Tirol etc., das natürlich an Österreich zurückzufallen hatte, seine frischgebackene Souveränität nicht antasten zu wollen. Zum Ausgleich für Tirol etc. gehörten Würzburg, Aschaffenburg und die linksrheinische Pfalz um Kaiserslautern herum – da waren die Wittelsbacher ja schon zu Zeiten des Heiligen Römischen Reiches gesessen. Ebenso musste es mit Württemberg und Baden gehalten werden. Das war ein zwingender Grund, Oberschwaben bei Stuttgart und Freiburg bei Baden zu lassen.

Das österreichische Aufgeben der „Wacht am Rhein“ bedeutete auch, dass Preußen von der niederländischen Grenze bis vor die Tore von Belgien seine neue „Rheinprovinz“ bekam, ferner eine kompakte „Provinz Westfalen“ mit dem Hauptort Münster. Zuzüglich, als Folge der erneuten Niederlage Napoleons bei Waterloo, Saarbrücken und Saarlouis. Daraus folgte, dass die gegen den „Erbfeind“ so wichtige „Wacht am Rhein“ nun auf Preußen und Bayern übergegangen war. Metternich hat später in vertrauter Runde gestanden, dass er damit Preußen auf die Gegnerschaft zu Frankreich festlegen wollte. Das schlug aber später zum Nachteil Österreichs aus. Denn das 19. Jahrhundert wurde zum Zeitalter der dominierenden Ideologie des Nationalstaates, also auch des Bestrebens nach deutscher Einheit. Insofern hatte Preußen vom Wiener Kongress an die besseren Karten, da es im sehr deutlichen Unterschied von der Donaumonarchie ganz überwiegend deutsch besiedelt war – aber den national zentrierten Gesichtspunkten hatte Metternich seit dem Debakel von 1809 abgeschworen.

Und noch etwas: dieses wieder aufgestiegene Königreich Preußen war territorial zerrissen. Hier die Provinzen Rheinland und Westfalen, dort alles vom Harz bis nach Posen, von Stettin bis nach Königsberg. Dazwischen lag das als Königreich wiederhergestellte Kurfürstentum Hannover, denn das konnte man 1814/15 dem König von England unmöglich verweigern, weil er vor Napoleon auch immer Kurfürst von Hannover gewesen war, in Personalunion. Auch die wieder hergestellte Landgrafschaft Hessen-Kassel lag dazwischen, die durch den Wiener Kongress ihren 1803 erworbenen Rang als „Kurfürstentum“ bewahren durfte, obwohl das Heilige Römische Reich mit seinem exklusiven Kollegium der zur Kaiserwahl berechtigten Kurfürsten 1806 untergegangen war. Es konnte nun gar nicht anders sein, als dass man in Berlin das Bedürfnis entwickelte, den westlichen und den östlichen Teil des Königreichs bei sich bietender Gelegenheit territorial zusammen zu schließen (wie es 1866, nach dem preußischen Sieg über Österreich, dann auch wirklich geschah). Einziger Vorteil für Österreich bei dieser Lösung von 1815: desto mehr waren die kleineren deutschen Staaten auf die Protektion Wiens angewiesen.

Aber an die Wiedererrichtung eines deutschen Reiches, das die Tradition des versunkenen Heiligen Römischen so etwa fortsetzen würde, war auf dem Wiener Kongress nicht zu denken. Und das, obwohl selbst aus Preußen Stimmen kamen, der Kaiser in Wien solle sich diese Krone wieder aufsetzen. Auf dem Kongress stellten sogar 29 kleinere deutsche Staaten diese Forderung offiziell auf. Doch Kaiser Franz wollte ganz entschieden nicht.

Dieser Mann war gründlich schwung- und phantasielos, ein trockener Bürokrat voller Kleinkariertheiten, so etwa, wenn er ungefähr so viele Stunden, wie Metternich für seine nicht abreißenden Liebschaften, darauf verwendete, die ausführlichen Lageberichte seiner personalstarken politischen Polizei zu studieren, mochten die nun von Bedeutung sein oder nicht. Aber wenn er nun die „gesamtdeutsche“ Kaiserkrone ablehnte, dann hatte er seine guten Gründe dafür. Wie sollte etwa in einem neuen Reich mit Preußen umgegangen werden, der zweiten deutschen Großmacht? Hier bestand einer der weiteren konstruktiven Grundgedanken Metternichs darin, entsprechend dem oben erwähnten Prinzip des Friedrich von Gentz, mit Berlin stets auf freundschaftlichem und korrektem Fuße zu stehen, es jeweils durch Überredung, in der der Gesellschaftslöwe Metternich ein Virtuose war, auf den österreichischen Standpunkt herüberzuziehen, anstatt dem König die Unterordnung unter die Autorität des Kaisers zuzumuten. Der angestrebte dauerhafte Friede in Europa konnte des Gleichklangs zwischen Wien und Berlin nicht entbehren, wie auch immer manipulativ der hergestellt war, etwa unter Beschwörung der erforderlichen Solidarität unter den Monarchen gegen das national, konstitutionell und liberalistisch ehrgeizige Bürgertum.

Ferner war ein neues deutsches Reich nicht zu vereinbaren mit der Garantie der Souveränität der einzelnen Staaten, wie sie Metternich vorbildgebend ausgesprochen hatte, als er den König von Bayern den Franzosen abspenstig gemacht hatte. Dies war eine Konzession an die vorhergegangene Entwicklung. Metternich zählte also, trotz seiner pauschal festzustellenden reaktionären Tendenzen (dazu weiter unten genaueres) nicht einfach zu denjenigen, die seit den Umstürzen der Revolution und Napoleons nichts vergessen und nichts dazugelernt hatten, wie damals das Schlagwort lautete. Manche Veränderungen waren nicht mehr ungeschehen zu machen.

Die deutsche Einheit als nationales Ziel zu verneinen, das gehörte zu dem reaktionären Ideengut Metternichs. Aber das Konglomerat deutscher Groß-, Mittel- und Kleinstaaten in der Mitte Europas bedurfte doch einer gewissen staatsrechtlichen Verfasstheit, Hauptsache, diese konnte keine Vorstufe zur nationalen Einheit werden. Da hatte Metternich schon rechtzeitig vorgesorgt. Denn in den ersten Friedensvertrag von Paris (30. Mai 1814, nach Napoleons erster Abdankung) hatte er als Ziel eingebaut: „Die Staaten Deutschlands werden unabhängig und durch ein föderatives Band vereint sein“. Jedenfalls sollten Frankreich und Russland sich nicht mehr derart einmischen können, wie sie es mit dem „Reichsdeputationshauptschluss“ von 1803 praktiziert hatten.

So wurde die Konstruktion des „Deutschen Bundes“ geboren. Grundlegend sollte eine Kombination altfürstlicher Legitimität unter Berücksichtigung des europäischen Gleichgewichts sein. Damit war ein einheitlicher deutscher Nationalstaat unvereinbar. Bedenken wir, welche Schwierigkeiten sich aus der Gründung des „Kleindeutschen Reiches“ (1870/71) durch Bismarck für die europäische Staatenwelt ergaben, um am Ende zur Explosion des Ersten Weltkrieges zu führen, dann ist die Weitsichtigkeit von Metternichs Konzeption bemerkenswert. Die Mitte Europas musste machtpolitisch schwach gehalten werden, die potentiell aggressiven Preußen an der Leine der von Österreich verkündeten, konservativen Staats-Ideologie gehalten werden. Das klappte in Metternichs Amtszeit, also bis 1848, recht gut, denn in Preußen gab es genug einheimische politische Kräfte, die ebenso orientiert waren. Die Bundesakte von 1815 sprach vom „Gleichgewicht Europas“ als eines der Zwecke des Deutschen Bundes, und gleichzeitig von der „Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der deutschen Staaten“.

Der Sitz der Bundesversammlung des Deutschen Bundes, das Palais Thurn und Taxis in Frankfurt am Main (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

Die Bayern gingen in ihrem Unabhängigkeitsbewusstsein so weit, dass sie die beabsichtigte Errichtung eines Obersten Bundesgerichtes hintertrieben. Aber der Bund stellte dennoch eine stabile Friedensordnung für die Bundesstaaten untereinander dar, was durchaus ein Fortschritt gegenüber den Zuständen im Heiligen Römischen Reich war. Als Zentralorgan fungierte eine in Frankfurt angesiedelte Bundesversammlung, bestückt von den großen und mittleren Staaten mit je einer Stimme, für die kleineren wurden Gruppen von Gesamtstimmen gebildet. Den Vorsitz hatte Österreich inne, das dadurch eine weitere Gelegenheit erhielt, Entscheidungen in seinem Sinne zu manipulieren, häufig durch Vorverhandlungen hinter den Kulissen.

Die Reaktion schlägt zu

Ergänzend trat zur Bundesakte 1820 die „Wiener Schlussakte“ hinzu. Da ging es nun explizit um die „Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Ordnung in den Bundesstaaten“, und um das Interventionsrecht der anderen, falls ein Bundesstaat mit seinen internen Unruhen nicht allein fertig wurde. Ansonsten wahrte der Bund die innere Unabhängigkeit seiner Mitglieder durchaus. Insofern kann er als ein „Staatenbund“ bezeichnet werden.

Die Verschärfungen in der Wiener Schlussakte hatten die „Karlsbader Beschlüsse“ von 1819 zur Voraussetzung, und ohne diese kann auch eine nur kurze Skizze von Metternichs Aktionen nicht auskommen. Der Literat August von Kotzebue, der insgeheim für den Zaren arbeitete, war im März 1819 zu Mannheim von dem burschenschaftlich organisierten Studenten Karl Ludwig Sand ermordet worden, da er als Erz-Reaktionär galt. Da rief Metternich die Könige des Deutschen Bundes, die Großherzöge von Baden und Mecklenburg sowie den Herzog von Nassau nach Karlsbad zusammen und setzte einen Katalog von Repressions-Maßnahmen durch: die „allgemeinen philosophischen und politischen Raisonnements“ sollten unterbunden werden. Daher Kontrolle der Universitäten durch besondere Bevollmächtigte, der Presse durch Vorzensur und Genehmigungspflicht. In Mainz wurde eine „Zentraluntersuchungskommission“ errichtet, zur Bündelung der polizeilichen Überwachung aller Organisationen, die einen politischen Zweck verfolgten. Die studentischen Korporationen wurden aufgelöst.

Verfassung oder nicht?

Artikel 13 der Bundesakte bestimmte: „In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung stattfinden“. Aber Kaiser Franz und auch der König von Preußen hielten sich nicht daran. Andere wiederum wagten eine Verfassung, so Nassau, Hessen-Darmstadt, Großherzog Carl August von Weimar, der Gönner Goethes, und Bayern. 1832 griff der Bund auch hier ein. In den „Landständen“, zu deren Charakterisierung die allgemeine Bemerkung genügen mag, dass sie stark von der Aristokratie geprägt und nicht etwa eine „Volksvertretung“ im modernen Sinne waren, wurden die Reden der Abgeordneten systematisch kontrolliert. Schon gar nicht war erlaubt, dass die „Landstände“ das staatliche Budget verweigerten. Metternich verfiel 1834 sogar darauf, an der Bundesversammlung vorbei mit einzelnen Staaten geheime Konferenzen abzuhalten, um die Maßnahmen gegen Landstände, Universitäten und Presse noch zu steigern.

All diese repressiven Maßnahmen bewirkten einen Stau an Unzufriedenheit unter selbstbewussten Bürgern, Studenten, auch Gewerbetreibenden hervor. Selbst wenn deren überwiegende Mehrzahl sich den privaten Freuden des „Biedermeier“ überließ. Doch es ging auch etwas voran: am 1. Januar 1834 trat auf Preußens Initiative der „Deutsche Zollverein“ ins Leben, gebildet an den Institutionen des Deutschen Bundes vorbei, damit die staatliche Zersplitterung in diesem nicht allzu hinderlich für Handel und Wandel in dem beginnenden Zeitalter der Industrialisierung wurde. Außer zum Beispiel Holstein, Mecklenburg, Hannover und anderen waren alle dabei – und außer Österreich. Wirtschaftspolitik war Metternichs Thema nie gewesen, persönlich schwelgte er Zeit seines Lebens in Schulden – weshalb übrigens der gar nicht unsinnige Verdacht aufkam, er lasse sich von fremden Staaten korrumpieren, sogar von Russland, nicht anders als der ermordete Kotzebue.

Der preußisch inspirierte Zollverein schmeckte ihm danach, die wirtschaftliche Einheit als eine Vorstufe zur politischen Einheit zu missbrauchen. So befand er, dass die österreichische Wirtschaft zu wenig leistungsstark sei, um im Konkurrenzkampf eines großen, zollfreien Gebietes bestehen zu können, und lehnte Österreichs Teilnahme ab.

Geradezu verräterisch in dem ganzen Polizei- und Überwachungssystem, das für damalige technische Verhältnisse gut funktionierte, zumindest was den äußeren Effekt anbetraf, war eine Formulierung in den zum Bundesgesetz ausformulierten „Karlsbader Beschlüssen“. Repression sei vonnöten, da sonst, „wie die Sachen heute stehen, ein günstiger Ausgang nicht mehr denkbar“ sei. Die neuen nationalen und liberalen Tendenzen, mit ersten Anzeichen sozialistischen Gedankenguts, bedeuteten für Metternich das Chaos. Er bezog seine Selbstrechtfertigung daraus, dass er sich ihm entgegenstemmte, mit dem melancholischen Hintergedanken dabei, dass nach Wegfall seiner weisen Führerschaft das Chaos dann doch hereinbrechen werde, er also in einem historischen Rückzugsgefecht befangen war. Weil ihm dabei nichts anderes als Polizeimaßnahmen einfielen, verschlimmerte sich die Situation noch.

So steht der Autor dieser Zeilen nicht an, das Wort des österreichischen Dramatikers Franz Grillparzer, der auch ein wacher Beobachter der politischen Zeitumstände war, als zutreffend zu übernehmen: „Ein ausgezeichneter Diplomat und ein schlechter Politiker“.

Die Außenpolitik des ausgezeichneten Diplomaten

„Schlechter Politiker“, das mochte für seine rückwärtsgewandte, starrsinnige und unbewegliche Gesellschaftspolitik gelten, für seine Außenpolitik galt es aber nicht im gleichen Ausmaß. Er hat im Kampf gegen Napoleon und auf dem Wiener Kongress seinem Kaiserstaat einen internationalen Einfluss verschafft, wie er den Machtressourcen der Donaumonarchie eigentlich gar nicht entsprach. Deswegen rief im Februar1815 Joseph de Maistre, einer der wichtigsten Vordenker der Reaktion: „Österreich ist unbegreiflich; aus einem Abgrund hat es sich mit einem Sprung bis in die Wolken erhoben!“

Das könnte die passende Überleitung zu den noch ausstehenden Ergebnissen sein, die der Wiener Kongress für die Neuordnung Italiens gebracht hat (das ist der oben versprochene Punkt 3).

Einer der bekannteren Aussprüche Metternichs lautet, Italien sei für ihn nur ein „geographischer Begriff“. Damit meinte er, wie wir ihn mittlerweile kennen, eine politisch vereinte italienische Nation, wie sie durch das „Königreich Italien“ im System Napoleons präfiguriert schien, durfte es nicht geben, ebenso wenig, wie das für Deutschland in Frage kam. Metternich war vielmehr darauf aus, Italien ebenso wie Deutschland dem Einfluss Wiens zu unterwerfen. Die verlorenen Kriege von 1859 (Schlacht von Solferino!) und 1866 (Schlacht von Königgrätz!) zeigten später, dass Österreich sich damit übernommen hatte, der Kampfpreis aus dem Sieg über Napoleon war also allzu reichlich ausgefallen. Aber 1814/15 sah es aktuell so aus: Metternich wusste, dass Castlereagh ihm Italien gewissermaßen gönnte. Russland schielte eher auf den osmanischen Orient, und auf Preußen kam es für Italien nicht an.

Also nahm sich Wien die Po-Ebene mit Venetien und der Lombardei bis zum Ticino-Fluss und machte daraus das „Vizekönigreich Lombardo-Venetien“, das unter Erzherzog Rainer als „Frühstücks-August“ ganz den Direktiven von Metternichs Staatskanzlei unterworfen war. Das Herzogtum Modena wurde unter Franz IV. wieder hergestellt, der ein Sohn des Erzherzogs Ferdinand war, des vierzehnten Kindes der Kaiserin Maria Theresia. Das Herzogtum Parma fiel auf Lebenszeit an Marie Luise, die Gemahlin des gestürzten Napoleon. Der gab man den für sie unwiderstehlichen Offizier Neipperg zum ständigen Begleiter, den sie am Ende sogar heiratete, aber erst nach dem Tode Napoleons (1821), damit kein Getratsche über Bigamie aufkommen konnte. Die Toscana war schon vor Napoleon habsburgisches Großherzogtum gewesen und fiel nun an Erzherzog Ferdinand zurück, den ehemaligen Herren. Der Papst wurde in den allergrößten Teil seines zentral-italienischen Kirchenstaates wieder eingesetzt und würde Wien keine Schwierigkeiten machen. Das Königreich Piemont-Sardinien wurde in seinem festländischen Teil aus dem untergegangenen napoleonischen Kaiserreich herausgelöst und bekam als Neuerwerbung Ligurien mit Genua, obwohl die geschichtsstolzen Genuesen das sehr übel aufnahmen. Das so gestärkte Königreich galt mit seinen Alpenpässen in Wien als Bollwerk gegen etwaige französische Versuche, in Italien wieder Fuß zu fassen.

Als Norditalien noch bei Öst`reich war… Die frühen Briefmarken Italiens haben dasselbe Motiv wie im Kernland Österreich, statt Kreuzer wurden im Königreich Lombardei-Venetien jedoch Centesimi frankiert. Die Marke stammt übrigens aus dem Jahre 1850, kurz nach Metternichs Abdankung als Staatskanzler (Foto: Wikipedia, gemeinfrei). 

Ein leichtsinniger Marschall

Blieb noch die Verfügung über das Königreich Neapel, und die war die heikelste italienische Angelegenheit. Dort hatte (ohne Sizilien) Napoleon seinen Schwager Joachim Murat etabliert, den wohl schneidigsten Kavallerie-Offizier der gesamten Epoche, und den gockelhaftesten aller damaligen „Marschälle von Frankreich“.

Murat hatte seinem Schwager jedoch den Dolch in den Rücken gestoßen, als er bald nach der Katastrophe der Völkerschlacht bei Leipzig mit Österreich heimlich ein Abkommen schloss, das ihm den weiteren Besitz Neapels zusicherte. Dem stand aber auf dem Wiener Kongress entgegen der von Talleyrand drängend vorgetragene Wunsch seines Dienstherrn, des Königs Ludwig XVIII., den bourbonisch-stämmigen König Ferdinand, der die Stürme der Zeit unter dem Schutz der britischen Flotte auf Sizilien überdauert hatte, auf den Thron von Neapel zurück zu manövrieren.

Aus der Verlegenheit half Murat unserem Protagonisten selbst, denn er war als Politiker schlechter denn als Kavallerist. Er konspirierte mit den in Italien konspirierenden Kreisen, die man unter dem Sammelnamen „Carbonari“ zusammenzufassen pflegt, und die nach wie vor den Traum der staatlichen Einheit Italiens träumten. Die österreichische Geheimpolizei war viel zu professionell, um ihm nicht auf die Schliche zu kommen. Metternich sagte richtig voraus, dass sich Murat damit selbst zu seinem Sturz verurteilte, weil er, dieser „letzte Leutnant Napoleons“, als Vorwärtsverteidigung gegen einen zu befürchtenden Kuhhandel zwischen Wien und Paris auf dem Wiener Kongress die revolutionäre Einheit Italiens proklamieren werde – und dass dann das vertraglich an sich gebundene Österreich militärisch eingreifen müsste.

Als Napoleon von Elba her am 1. März bei Antibes landete, glaubte Murat in seiner politischen Kurzsichtigkeit, nun sei für ihn der Augenblick zum Losschlagen gekommen. Dabei hatte Napoleon alles Interesse daran, den Siegern von 1814 seine – ganz neuartige – Friedfertigkeit zu demonstrieren. Metternich musste sich zu einem Kompromiss durchringen: „Willfahren wir Frankreich im Süden Italiens, so muss uns der Norden zur Verfügung stehen“. Dafür konzedierte Ludwig XVIII., dass Marie Luise mit dem Herzogtum Parma ausgestattet wurde, auf das ebenfalls bourbonische Ansprüche von Alters her bestanden. Des weiteren Krieg gegen Murat, der inzwischen bis in die Po-Ebene vormarschiert war und von Rimini aus ein Manifest zur nationalen Einheit Italiens verkündet hatte. Die kriegsgestählten Truppen der Donaumonarchie schlugen Murat ziemlich schnell, er floh nach Korsika zu den dortigen Napoleon-Nostalgikern. Als er, schon nach der Entscheidung von Waterloo, mit einem Häuflein Getreuer unverdrossen in Kalabrien landete, wurde er kurzerhand festgenommen und erschossen. Welch ein großes Abenteuer mit wie wenig Hirn!

Der nun nach Neapel zurückgekehrte Bourbone Ferdinand musste mit Wien ein Abkommen „zur Aufrechterhaltung der Ruhe Italiens“ schließen, im Klartext: österreichische Intervention im Falle neuer revolutionärer Umtriebe hinnehmen.

Metternich plante eine umfassende „Lega Italica“, die dem Konzept für den Deutschen Bund nicht unähnlich war. Föderative Union zum Schutz gegen äußere und innere Feinde, mit einer, natürlich von Österreich abhängigen polizeilichen Zentralbehörde – so etwas wie die wenig spätere Mainzer „Zentraluntersuchungskommission“ (siehe oben). Die Idee konnte aber nicht durchgesetzt werden. Sie gemahnte Kaiser Franz zu sehr an die nationale Einheit Italiens, die Franzosen waren ebenfalls dagegen, auch der am Kongress den Papst vertretende Kardinal Consalvi, nach dem Jahrhunderte alten Muster der römischen Kurie, die italienische Einheit, oder das, was ihr irgendwie nahe kam, müsste das Ende des Kirchenstaates bedeuten.

Damit verlassen wir den politischen Hexenkessel des Wiener Kongresses. Fridrich von Gentz, der ein Intimus Metternichs war, schimpfte nicht schlecht: „Die großen Phrasen von der Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung und von dauerhaftem, auf gerechte Verteilung der Kräfte gegründetem Frieden …..hielt man feil, um….der Versammlung einen Schein von Größe und Würde zu geben; der wahre Sinn des Kongresses war aber der, dass die Sieger unter sich die Beute verteilten, die sie dem Besiegten abgenommen“.

Außenpolitik neuer Art

Natürlich war dieser umfassende Länderschacher zentral, aber für Metternich stand tatsächlich ebenso der Frieden Europas in Frage, beide Themen gingen sozusagen ineinander auf. Sonst hätte er nicht so großen Wert auf die Schonung Frankreichs gelegt, das als eine der etablierten Großmächte erhalten bleiben sollte. Deshalb durfte die auf der Spitze der alliierten Bajonette wieder nach Paris zurückgebrachte Bourbonen-Dynastie nicht extra gedemütigt werden. Sonst hätte sie von den unruhigen Elementen im Lande schnell gestürzt werden können, und der Brandherd der Revolution wäre erneut aufgeflammt. Daraus folgte auch, dass Frankreich das Elsass behalten durfte, während die militanten Preußen die Rückkehr dieses deutschen Landes lautstark forderten. Das war für Metternich von Anfang an viel zu nationalistisch gedacht, und Briten und Russen hatten am Elsass sowieso kein Interesse.

Mit dem Länderschacher verband Metternich nun ein neues System der internationalen Beziehungen. Diese Denkweise machte ihn, der als taktischer Finassierer abgestempelt war, nun tatsächlich zu einem innovativen Staatsmann, auch wenn er am Ende damit scheiterte. Die Mächte sollten zusätzlich durch das ideologische Band der Konservierung der alten Staatenordnung vermittels Einfrierung des gesellschaftlichen und sozialen Status quo zusammengehalten werden, mit inbegriffen war dabei ein eventuell zu aktivierendes, internationales Interventionsrecht. Das war eine Vorform dessen, was wir heutzutage als „kollektives Sicherheitssystem“ bezeichnen, und eine Akzentuierung europäischer Einheit durch Aufsicht auch über die Innenpolitik der Partner. Das lief auf eine Begrenzung von Souveränität hinaus. Es kann, wer will, darin eine erste Vorahnung der europäischen Integrationsbemühungen in unserer Gegenwart erblicken. Denn Metternich zielte auf einen Bund der europäischen Mächte ab, die durch gemeinsame Werte einander verpflichtet waren – siehe die historische Parallele von Artikel 2 des EU-Vertrages, wo die gemeinsamen Werte von Menschenwürde, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit etc. beschworen werden. Im 18. Jahrhundert hatte es diesen Metternichschen Versuch innenpolitischer Homogenität noch nicht gegeben, da hatte man sich allenfalls an das „europäische Gleichgewicht“ gehalten, ein ziemlich formales, mechanistisches Prinzip.

An der vom Zaren propagierten „Heiligen Allianz“ aller christlichen Staaten, im Sinne von Brüderlichkeit und Nächstenliebe unter den Herrscherfamilien erlauben wir uns hier vorbeizugehen. Denn ihre politische Bedeutung war deutlich geringer als ihre geistesgeschichtliche im Rahmen des Wiedererwachens christlicher Gedanken in der Romantik. Metternich unterschrieb den schwärmerischen Text, der nie und nimmer aus seiner eigenen Feder gekommen wäre, um den Zaren nicht zu verärgern, und indem er ihn so redigierte, dass er als Legitimation für „gesellschaftserhaltende“ Interventionen in seinem, Metternichs, Sinne dienen konnte.

Seine Ideal-Vorstellungen wurden zunächst nicht desavouiert. Ausgangspunkt war Artikel VI der „Quadrupelallianz“ zwischen England, Preußen, Österreich und Russland vom 20. November 1815. Dieser sprach von der Konsolidierung der Verbindung, die gegenwärtig die vier Herrscher für das Glück der Welt vereinigt, und dass man deshalb in bestimmten Perioden ihr Zusammentreffen erneuern müsse, um sich über die gemeinsamen Interessen zu beraten, sowie die Maßnahmen, die am heilsamsten für die Ruhe der Nationen seien. Metternich war glücklich, in Castlereagh einen Partner in diesem Sinne gefunden zu haben.

1818 kamen die Quadrupel-Partner zu einem Kongress in Aachen zusammen und luden auch Frankreich ein. Zar Alexander lief unter den beständigen Einflüsterungen Metternichs zu konservativer Hochform auf, indem er eine „Alliance Solidaire“ nunmehr von allen fünf Mächten vorschlug. Die sollte eine gegenseitige Garantie zur Wahrung einer Regierungsform vorsehen, die Friede und Gerechtigkeit in jedem Mitgliedsstaat sicherte, notfalls durch Intervention. Metternich war es zufrieden, indem er „Friede und Gerechtigkeit“ nach seinen gesellschaftspolitischen Vorstellungen auslegte.

Aber da legte sich ein erster Schatten auf seine Konferenz-Maschine, die so prächtig geeignet erschien, Österreichs Einfluss in Europa nicht etwa mit Machtmitteln zu etablieren, denn seine Machtmittel waren dafür ungenügend, sondern durch eine Art Oberlehrerschaft in den Fragen der rechten gesellschaftlichen Ordnung. Castlereagh nämlich wollte von des Zaren „Alliance Solidaire“ nichts wissen, weil sie England in seinen außenpolitischen Optionen zu sehr gefesselt hätte, und weil sowohl Castlereagh als auch die Opposition in London, Ober- und Unterhaus, sich nicht auf einen gesellschaftspolitischen Katechismus festlegen lassen wollten. Das war für Metternich misslich, denn ohne England konnte er seiner Russophobie nicht die Zügel schießen lassen und verlor einen Partner dafür, Frankreich mit seinen schwachen Bourbonen und der unkalkulierbar umstürzlerischen inneren Szene in Zaum zu halten.

Kampf gegen die revolutionäre Hydra

Das Konferenz-System mit ideologischem Akzent zeitigte aber noch vier weitere Jahre befriedigende Ergebnisse. Denn die Revolution brach wieder aus, und internationale Strafmaßnahmen dagegen drängten sich auf. Anfang 1820 zwang eine Revolte spanischer Militärs ihren unerträglich reaktionären König Ferdinand VII., eine Verfassung einzuführen, und der, weil er auch noch tückisch war, bat deshalb heimlich die Mächte um Intervention. Im Juli und August 1820 ging es in Portugal und in Neapel los, 1821 in Piemont, und die italienischen „Carbonari“, die ehemaligen konspirativen Genossen des Joachim Murat, waren mit dabei.

So musste es von Oktober bis Dezember 1820 im idyllischen Kurort Troppau (Österreichisch-Schlesien) zu einem Kongress kommen, dem ab Januar 1821 der von Laibach (damals im Herzogtum Krain) folgte. Preußen und Russland schlossen sich in Troppau Metternich an, der einen Einmarsch forderte, gerade auch bezogen auf Neapel, das als besonderes österreichisches Interessengebiet galt.

Aber England verweigerte sich. Definitive Beschlüsse wurden erst in Laibach gefasst. Dort waren anwesend der Zar, Kaiser Franz und der hilfesuchende König von Neapel. Die Briten hielten sich konsequenterweise wieder heraus und schickten nur Beobachter. Österreich erhielt den Auftrag zum ordnungsschaffenden Einmarsch in Italien, der sehr schnell zur Erstickung revolutionärer Aktivitäten in Neapel und auch in Piemont führte.

Karikaturistischer Blick auf den Kongress von Verona von 1822 (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

Blieb noch das Problem Spanien. Dessen Bewältigung sollte der Kongress von Verona dienen (Oktober bis Dezember 1822). Dank der Feder des Romantikers, glühenden Royalisten und hinreißenden Stilisten Chateaubriand wurde als sein herausragendes Ergebnis bekannt, dass Frankreich den militärischen Auftrag zur Intervention in Spanien erhielt, denn nun war es in den Club der konservativen Großmächte wieder aufgenommen. Die Expedition hatte ebenso durchschlagenden Erfolg wie die der Österreicher nach Neapel und Piemont. In Portugal rückten die Franzosen nicht ein, und dort kam es daher in den nächsten Jahren zu einer windungsreichen konstitutionellen Entwicklung.

Für Metternich war es ein harter Schlag, dass sein notwendiger Gesinnungsgenosse Castlereagh im August 1822, völlig überraschend, Selbstmord begangen hatte. Sein Nachfolger als Außenminister wurde George Canning. Der lehnte die französische Intervention in Spanien ab, weil die Briten auf der iberischen Halbinsel, die nun einmal das Hinterland von Gibraltar und damit sehr wichtig für die britische Kontrolle des Mittelmeers war, keinen Einfluss Frankreichs wollten.

Canning forcierte auch die bisherige britische Politik des wohlwollenden Begleitens der Aufstandsbewegungen gegen die spanische Kolonialherrschaft in Lateinamerika. Mangels Seemacht war Metternich dagegen gänzlich hilflos, obwohl die Aufständischen dort Republiken ins Leben riefen. Aber George Canning war entschlossen, liberale Bewegungen danach zu beurteilen, ob sie britischen Interessen entsprachen oder nicht. Die merkantilen Beziehungen zu den Rebellen, und ein starker Posten an Waffenlieferungen, das waren solche Interessen. Er war ein Pragmatiker, Metternich ein Ideologe.

Metternich als der „Kutscher Europas“?

Der hatte sich geschmeichelt, der „Kutscher Europas“ zu sein, und die bisherigen vier Konferenzen schienen das zu bestätigen. Dass er aber auch nicht auf dem europäischen Kontinent diese Rolle durchhalten konnte, zeigte die Behandlung des Aufstandes, den die patriotischen Griechen ab März 1821 gegen ihren Oberherren lostraten, den osmanischen Sultan in Istanbul.

Der Sultan, immerhin die Ordnungsmacht auf dem Balkan, hatte am Wiener Kongress nicht teilgenommen, da er nicht am Sieg gegen Napoleon beteiligt gewesen war, und außerdem war er kein Christ – siehe die Lyrik der „Heiligen Allianz“. Metternich hätte ihn wahrscheinlich trotzdem gerne dabei gehabt, als Gegengewicht gegen Russland, und auch als legitimen Herrscher eines nicht unerheblichen Teiles Europas. Nachdem die Osmanen unfähig geworden waren, Österreich lebensgefährlich zu bedrohen, sagen wir: ab den Türkenkriegen des Prinzen Eugen, waren sie im Südosten die ruhigsten Nachbarn, die sich die Donaumonarchie nur wünschen konnte.

Dagegen ab 1821 die aufständischen Griechen: nicht nur, dass sie eine Republik wollten, sie verkörperten auch mit ihrem Freiheits-Pathos das Prinzip nationaler Selbstbestimmung, und das war für Metternich der Satan schlechthin. Doch allerorten in Europa brach ein begeisterter „Philhellenismus“ aus: kulturell bedingt, weil man die oft schlicht halsabschneiderischen Freiheitskämpfer dort unten für die direkten Nachfahren der klassischen Griechen nahm. Freiwillige zogen aus, der bekannteste unter ihnen der englische Romantiker und Weltschmerzdichter, Lord Byron, Geldsammlungen erbrachten erhebliche Beträge, die Sachspenden flossen. Solch ein Taumel war dem Rationalisten Metternich schon rein persönlich fremd, und ganz grundsätzlich befand er, der Aufstand stehe „im Widerspruch gegen die Prinzipien der sozialen Ordnung“.

Schauen wir nun, wie er in vergeblichem Kampf gegen diesen Satan der nationalen Selbstbestimmung diplomatisch unterging, denn das war der Anfang der Entwicklung, die ihn vom Kutschbock Europas herunterstieß.

Das griechische Dilemma

Der Einsatz, um den es ging, konnte größer nicht gedacht werden. Russland schien auf dem Sprung zu stehen, den ganzen Balkan zu seinen Gunsten aufzurollen. Das hätte sowohl Österreich als auch England auf den Plan gerufen, denn bei einer derartigen Machtverschiebung wäre das europäische Gleichgewicht ernsthaft ins Wanken geraten, es wäre aus gewesen mit der Inpflichtnahme des Zaren für den gesellschaftlichen Status quo in Europa. Die Briten aber mussten um ihre maritime Kontrolle des Mittelmeers fürchten, also gegen den russischen Drang zu Bosporus und Ägäis Front machen. Es ging ihnen auch, und das blieb so bis zum Zweiten Weltkrieg, um die Bedrohung des Weges zu ihrer reichsten Kolonie, nach Indien. Im März 1823 hatte Canning die griechischen Rebellen als Kriegsführende anerkannt, um sich an dem Geschehen beteiligen zu können, natürlich auch im wirtschaftlichen Interesse Englands. Weltanschauliche „rote Linien“ waren ihm egal. Und Frankreich in seinem Bestreben, nach Napoleons Niederlage endlich wieder eine Rolle in Europa zu spielen, würde sich ebenfalls einmischen wollen.

Zum Glück zeigte Zar Alexander während der ersten Jahre des Aufstandes, nicht zuletzt wegen der dauernden Bearbeitung durch den Staatskanzler (den Titel bekam Metternich 1821 verliehen), keine aggressive Initiative. Doch im Dezember 1825 starb der Zar. Sein Bruder und Nachfolger Nikolaus I. hingegen ging auf England zu, wo Canning entschlossen war, die griechische Angelegenheit zusammen mit Russland und unter Ausschluss anderer Mächte zu regeln. Der neue Zar ließ sich darauf ein – da hatte die „Heilige Allianz“ einen Riss bekommen, das einvernehmliche Konferenz-System von Aachen über Troppau, Laibach und Verona funktionierte nicht mehr, da es ohne die russische Großmacht nicht mehr funktionieren konnte.

Ein Gräuel für den Staatskanzler war der Ausbruch der Griechischen Revolution, ikonisch festgehalten im Gemälde von Vryzakis, der die Segnung der griechischen Fahne durch das Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche Germanos von Patras im Jahre 1821 zeigt (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

Dagegen konnte Metternich nichts tun, auch dagegen nicht, dass 1827 Paris sich doch noch London und St. Petersburg anschloss. Österreich wollte den dreien nicht beitreten, Preußen auch nicht, da am Ende der nun zu erwartenden Intervention der drei Großmächte die revolutionäre Nationalstaatsbildung Griechenlands zu befürchten war. Am 20. Oktober 1827 schossen die vereinigte englische, französische und russische Flotte die des Sultans in der Bucht von Navarino (südwestliche Peloponnes) in Grund und Boden. Als im nächsten Jahr russische Truppen in die Walachei einfielen, hätte die österreichische Armee eigentlich zugunsten des Sultans eingreifen müssen. Aber die 1813/14 so tüchtige Armee war in einen erbärmlichen Zustand herabgesunken, die Staatsfinanzen laborierten erheblich, und nicht einmal auf die Solidarität Preußens konnte man sich verlassen.

Nach großen Anfangsschwierigkeiten diktierten die Russen 1829 zu Adrianopel (Edirne) dem Sultan den Frieden. Das nun entstehende, von der Hohen Pforte unabhängige Griechenland wurde im Norden beschränkt durch eine Linie vom Golf von Arta bis zum Golf von Volos, also ohne Thessalien und Makedonien, auch ohne Kreta und viele andere Inseln der Ägäis, und musste ein Königreich werden. Damit war die „gesellschaftliche Ordnung“ im Sinne Wiens einigermaßen intakt geblieben, zumal dem neuen König, dem bayerischen Prinzen Otto, von seinem Münchner Vater, dem König Ludwig I., strikt verboten wurde, mit einer Verfassung zu experimentieren.

Metternich hatte in der griechischen Angelegenheit zwar eine peinliche Niederlage erlitten, war aber flexibel genug, nun eben mit Russland einen Ausgleich über die weitere Behandlung des dahinsiechenden Osmanischen Reiches anzuzielen. Auf der Konferenz zwischen Preußen, Österreich und Russland in dem weiträumigen Schloss zu Münchengrätz (Nordböhmen) kam man im September 1833 überein, dass Russland die Konservierung des Osmanischen Reiches akzeptierte, abzüglich Griechenlands. Ferner ging es wieder um die „gesellschaftliche Ordnung“: bei revolutionären Umtrieben in einer der drei Monarchien sollten die beiden anderen, falls aufgefordert, intervenieren dürfen.

Außenpolitische Frustrationen

War also alles in Ordnung im Sinne des Staatskanzlers? Nein, denn im Juli 1830 war in Paris der sehr reaktionäre Bourbonenkönig Karl X. gestürzt worden, sein Nachfolger, Louis Philippe, musste sich liberal geben und wurde daher der „Bürgerkönig“ genannt. Gegen den hatte Metternich einen hoch-konservativen Feldzug angeregt, da er die Rede des alten Kaunitz vergessen hatte, etwas in dieser Art sei der „Gipfel der Torheit“ (siehe oben). Preußen und Russland lehnten aber ab, und die Briten sowieso. Kein „Kutscher von Europa“ mehr! Auch hatten sich die flämischen und wallonischen Belgier 1830 von ihrem durch den Wiener Kongress auferlegten Oberherren, dem König der Niederlande, in revolutionärer Weise getrennt. Das war im Metternichschen Sinne wieder eine infernalische Unbotmäßigkeit, aber es blieb bei diesem Ergebnis. Die Mächte erkannten das unabhängige Belgien an, unter dessen König Leopold aus dem Hause Sachsen-Coburg.

Und die leidige „Orientalische Frage“! Die war in Münchengrätz keineswegs beigelegt worden, denn Russland achtete zwar den Bestand des Osmanischen Reiches, versuchte aber, es unter sein Protektorat zu beugen, und Frankreich etablierte seinen bestimmenden Einfluss in Ägypten, das, wenn auch nur noch formal, ebenfalls zum Reiche des Großherrn in Istanbul gehörte. Beides versetzte die Briten in höchste Alarmbereitschaft. Die Beilegung beider Probleme, um es so kurz wie möglich zu sagen, war dann auch die Leistung hauptsächlich der Briten – und Österreich schaute zu, durchaus wohlwollend, aber tat sonst nichts. Die letzten beiden Jahrzehnte von Metternichs Amtszeit kündeten davon, dass Österreich im Orient zwar Prinzipien hochhielt, aber keine Macht ausübte, und London, Paris und St. Petersburg machen ließ.

1846/47, kurz vor seinem Sturz (13. März 1848) bekam der Staatskanzler den letzten Hinweis auf seine außenpolitische Machtlosigkeit. Unter den Kantonen der Schweiz hatte sich ein erbitterter Konflikt zwischen Alt-Konservativen und Klerikalen auf der einen und Liberalen, Freimaurern und Jesuitenfeinden auf der anderen Seite entwickelt. Die Alt-Konservativen baten in Wien um Hilfe, und Metternich wäre dazu bereit gewesen. Aber ein Einmarsch ins Land der Eidgenossen hätte der Zustimmung der Mächte bedurft, ganz gemäß dem Konferenz-System von Troppau, Laibach und Verona, denn auf dem Wiener Kongress war die Schweiz in den Status der immerwährenden Neutralität versetzt worden. Nun hätte es um eine Konservierung ihrer inneren Verfassung gehen sollen, also eine Aktion, die über die Wahrung ihrer völkerrechtlichen Neutralität hinausging. Besonders wäre es auf Frankreichs Mitwirkung angekommen, aber für so etwas war der „Bürgerkönig“ zu liberal, eine Intervention kam also nicht zustande. Im Endergebnis führten die beiden verfeindeten Schweizer Parteien sogar einen kleinen Bürgerkrieg gegeneinander, den „Sonderbundskrieg“. Den verloren die alt-konservativen Kantone des „Sonderbundes“, das Ergebnis war die Erarbeitung der Schweizer Verfassung, wie sie heute noch besteht, und wie sie der „Gesellschaftlichen Ordnung“ nach dem Verständnis Metternichs durchaus nicht entspricht.

Versuch eines abschließenden Urteils

Insgesamt wäre das Urteil aber übertrieben, seine Außenpolitik sei letztlich erfolglos gewesen. Man darf den Bogen des historischen Urteils nicht zu straff spannen. Wer wie Metternich ein paar Jahre lang durch sein ideologisch unterfüttertes Konferenzsystem europaweit Erfolg gehabt hat, dem gebührt ein Ehrenplatz in den Annalen der Geschichte. Und die außenpolitischen Probleme Österreichs im osmanischen Orient überdauerten die Amtszeit des Staatskanzlers um gut zwei Generationen.

Daneben nun aber sein Versuch der Erstickung der nationalen Einheitsidee in Deutschland und Italien: das konnte angesichts der Dynamik dieser Idee keine Zukunft haben, und auch nicht der sich dem bürgerlichen Liberalismus entgegenstemmende absolutistische, bürokratische Autoritarismus. Eins ist aber gerechterweise mit zu berücksichtigen: das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung bedeutete für die Donaumonarchie, die eine Vielfalt an Nationen in sich barg, geradezu eine Gefährdung ihrer Existenz. Denn die Bindekraft der Habsburger Dynastie, bei all deren nicht gar zu schnell verblassendem Glanz, erwies sich als Gegenmittel gegen separatistische Tendenzen am Ende als zu schwach. Da der Zeitgeist immer säkularistischer wurde, kam es immer weniger auf Gottesgnadentum und Bündnis von Thron und Altar an.

Stimmen wir also dem Urteil von Heinrich Ritter von Srbik zu, dem monumentalsten aller Metternich-Biographen, der seinen Protagonisten auch immer wieder entschuldigt: „Er sah es wohl, dass neue Kräfte im Völkerleben sich losgelöst und emporgerungen hatten, die Mächte der Tiefe, wie Ranke sie nannte: aber er hatte aus der großen Revolution…..nur die Lehre des Verneinens, nicht auch die des Bejahens gezogen. Und in diesem Sinn, aber auch nur in diesem, konnte Stein (der preußisch-nassauische Staatsmann Freiherr vom Stein, N.d.A.) mit Recht von ihm sagen, er rechne, aber ohne Tiefe, er sei ein guter Buchhalter, aber kein großer Mathematiker“.

Seinen Kampf gegen die „Mächte der Tiefe“ kämpfte er also vergeblich, und er wusste es, wie schon gesagt. Das heftet seiner Lebensleistung etwas Tragisches an. In seiner konservativen Verbohrtheit taugt er aber, trotz des seitherigen Aufbrechens der „Tiefe“, doch nicht zum Märtyrer eines irgendwie heilen Europa. Die „Mächte der Tiefe“ gingen einher mit der Anbetung des „Fortschritts“, aus dem heute noch nicht ganz abgetanen Bedürfnis Europas heraus, beständig etwas noch viel Besseres zu schaffen.

Fürst von Metternich erreichte ein für seine Lebenszeit gesegnetes Alter von 86 Jahren. Vier Jahre vor seinem Tod 1859 entstand diese frühe Photographie des langjährigen Staatskanzlers (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

Ausblick mit Hilfe der griechischen Mythologie

Sollen wir das bedauern, angesichts des Scherbenhaufens des 20. Jahrhunderts? Zum Versuch einer Antwort greifen wir hinein in die griechische Mythologie, wo der Geist noch in Bildern sprach.

Zeus liebte die Menschen nicht, doch der Titan Prometheus nahm sich ihrer an. So stahl er von der Sonne das Feuer und schenkte es den Menschen, und das wurde zum Ausgangspunkt ihrer Zivilisation. Zur Strafe ließ ihn Zeus bekanntlich von seinen Schergen an den Kaukasus schmieden, wo ein Geier seine leider immer wieder nachwachsende Leber fraß. Das ging so, bis der Halbgott Herakles ihn befreite.

Es ist nicht überliefert, dass der Titan seinen Diebstahl des Feuers jemals bereut hätte.

Von Bernd Dieter RILL, Vorsitzender des Redaktionskollegiums

Zum Foto oben: Staatskanzler Clemens von Metternich auf dem Höhepunkt seiner politischen Macht um 1820, ins Bild gesetzt von Thomas Lawrence (Foto: Wikipedia, gemeinfrei).

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